Die Kollegiale Fallberatung ist eine hilfreiche Methode, um sich innerhalb einer Gruppe von Gleichgestellten gegenseitig zu Problemen zu beraten. Sie hat eine vorgegebene Struktur.

Einleitung

Die Kollegiale Fallberatung bietet sowohl in der Schule als auch in der Universität die Möglichkeit, herausfordernde oder sogar problemhafte Praxiserfahrungen strukturiert aufzugreifen und gemeinsam in einer Gruppe über Lösungswege zu beraten.

Sie vermeidet das Teilen vorgefertigter Ratschläge, indem sie die Beratenden dazu bewegt, eigene Annahmen zurückzuhalten und zu hinterfragen. An einigen Schulen in Berlin haben sich Gruppen etabliert, die sich in regelmäßigem Turnus treffen und sich selbstständig gemeinsam beraten. Zur Etablierung solcher Gruppen bieten in vielen Bezirken die Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) Anleitung und Unterstützung an.

Damit die Kollegiale Fallberatung bei der Lösung eines Problems helfen kann, sollten verschiedene Bedingungen bezüglich Fall, Gruppe und Setting gegeben sein bzw. hergestellt werden, die im Folgenden erläutert werden.

Was ist die Kollegiale Fallberatung?

Die KFB ist ein systematisches Beratungsgespräch, in dem Gleichgestellte nach einer vorgegebenen Gesprächsstruktur gemeinsam nach Lösungen für ein konkretes Problem (einen „Fall“) suchen. Der*die Fallgeber*in schildert den Beratenden die Situation und lässt sich von diesen in einem moderierten Prozess beraten. Ein Mitglied der Gruppe leitet nach einem festen Ablauf mit sieben Phasen als Moderator*in das Beratungsgespräch durch die Gruppe und aktiviert dabei die Wahrnehmungen, Erfahrungen und Ideen der übrigen Teilnehmenden. Unter Anleitung der Moderation beraten somit alle Teilnehmenden den Fall und suchen nach Anregungen und Lösungsideen, mit dem Ziel der*die Fallgeber*in zu unterstützen.

In der Schulpraxis wird kollegiale Beratung zu Problemfällen in informeller Form breit praktiziert. Bei einem Problem beraten sich Lehrkräfte mit ihren Kolleg*innen im Lehrerzimmer oder fragen Familie und Freunde um Rat. So investiert bereits fast jede Person im Lehrbetrieb eine gewisse Zeit dafür, sich bei Problemen beraten zu lassen. Durch die Methode der Kollegialen Fallberatung, wird diese Zeit effizient zusammengeführt und durch eine Methode bereichert, die Lösungen zu Tage bringen kann, die in einem informellen Gespräch wahrscheinlich nicht gefunden und auch nicht planvoll weiterverfolgt worden wären. Im Praxissemester können so Themen und Probleme besprochen werden, die in den Begleitseminaren keine Berücksichtigung finden können.

Ablauf der Fallberatung

Die ganze Beratung nimmt etwa 60 bis max. 80 Minuten in Anspruch und verläuft in festen Phasen, durch die die moderierende Person führt.

  1. Fallfindung und Rollenverteilung (Moderator*in, Fallgeber*in, Berater*innen)

  2. Fallvorstellung, Nachfragen und Zielformulierung

  3. Reflexion

  4. Lösungsideen sammeln

  5. Rückmeldung der*s Fallgebenden

  6. Gemeinsamer Abschluss/Formulierung eines Lösungsansatzes

  7. Feedback


Schritt-für-Schritt-Anleitung


1.) Fallfindung und Rollenverteilung (10 Minuten)

Moderator*in

Zuerst wird eine Person festgelegt, die die Moderation der Beratung übernimmt. Dies ist eine spannende und verantwortungsvolle Aufgabe, da sie nicht nur dafür sorgt, dass alle zu Wort kommen und die Zeit eingehalten wird, sondern vor allem dafür, dass eine angstfreie und vertrauensvolle Atmosphäre entsteht. Sie darf auch Fragen stellen und Beiträge liefern, sofern dies die Moderation nicht beeinträchtigt.

Fallgeber*in

Nun wird ein Fall gesucht. Alle Personen mit Problemen, können ihren jeweiligen Fall kurz vorstellen. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, welcher Fall am dringlichsten ist bzw. wo am besten geholfen werden kann. Bei Bedarf können mehrere Runden einer Fallberatung durchgeführt werden oder weniger dringliche Anliegen auf eine spätere Sitzung verschoben werden. Fälle sind nicht geeignet, wenn alle Teilnehmenden gleichermaßen vom Problem betroffen sind, jemand der Teilnehmenden direkt in den Fall involviert ist oder ein Konflikt zwischen zwei Teilnehmenden geklärt werden soll. Auch Fälle, die sich auf allgemeine Organisationsfragen beziehen, sind eher ungeeignet. Der Fall sollte hingegen aktuell, ungelöst und relevant für die erzählende Person sein.

Berater*innen

Alle Personen, die nicht moderieren oder ihren Fall eingebracht haben, nehmen die Berater*innen- Rolle ein. Bei einer ausreichenden Anzahl an beratenden Personen, kann eine Person die Beiträge der Berater dokumentieren, also z. B. auf Moderationskarten, einem Flipchart oder einer Tafel festhalten. Für die Fallgebende Person ist die Visualisierung sehr dienlich, denn sie kann sich so aufs Zuhören konzentrieren. Zudem unterstützt es die Moderation und erleichtert die Reflexion einzelner Ideen. Auch die Ernennung eines*r Zeitwächter*in bietet sich an.

2.) Fallvorstellung und Nachfragen (10 Minuten)

In dieser Phase schildert der*die Fallgeber*in spontan und frei die persönliche Fallsituation. Ausreichend Zeit ist hier wichtig, damit das Anliegen und die erlebten Kontextbedingungen ununterbrochen und ausführlich geschildert werden können. Wichtig sind nicht nur Fakten, sondern auch die Interpretation der Situation. Äußerungen zu Gefühlen, Erwartungen und Hoffnungen sind von großer Bedeutung für eine hohe Qualität der Beratung.

Dann haben die Berater*innen die Gelegenheit, Nachfragen zu stellen. Die Moderation unterstützt, um bei einer oberflächlichen Schilderung genügend Fragen zuzulassen oder eine große Anzahl an Fragen auf die relevantesten zu beschränken, die nötig sind, um gut beraten zu können.

In jedem Fall ist es entscheidend, dass die Moderation genau darauf achtet, dass sich die Berater*innen mit Ratschlägen und Lösungen zurückhalten. Über dies sollte darauf geachtet werden, dass es sich nicht um Interpretationen, Suggestiv- oder wertende Fragen handelt. Es geht also primär um Verständnisfragen.

Am Ende der Schilderung und Nachfragen sollte eine klare und lösbare Schlüsselfrage oder ein Ziel formuliert (und ggf. visualisiert) werden, damit klar ist, was am Ende rauskommen kann und sollte. Zudem bildet die Formulierung eines Ziels/einer Frage bereits eine Zwischenbilanz, die für alle Beteiligten meist sehr wertvoll ist.

3.) Reflexion (etwa 10 Minuten, verschiedene Methoden möglich)

In dieser Phase werden durch die Beratenden Hypothesen, Überlegungen, Wahrnehmungen und Gedanken formuliert, während der/die Fallgeber*in zuhört. Damit im Anschluss an diese Phase vielfältige und kreative Lösungsmöglichkeiten gefunden werden, die ganz unterschiedliche Handlungsoptionen aufzeigen können und nicht nur vorhandene spontane Reaktionen gesammelt werden, ist es sinnvoll, durch bestimmte Methoden den Fokus des Denkens zu erweitern. Dazu bieten sich verschiedene Methoden an. Ein Vorschlag hierfür ist die Identifizierungsmethode („Ich als ...“) zu verwenden:

Ich-Als-Runde/Identifizierung

In dieser Runde identifizieren sich die Beratenden, wie in einem Rollenspiel, mit den Beteiligten des Konflikts und sprechen konkret aus der Rolle heraus, z. B. „Ich als Mutter schäme mich vielleicht vor der Lehrerin“ – oder – „Ich als Kind wünsche mir Bestätigung“ – oder – „Ich als Lehrerin fühle mich von den Eltern kritisch beäugt“ – usw. Es ist auch möglich, sich mit Personen, die bisher nicht genannt wurden oder unbekannt sind, zu identifizieren, z. B. mit dem abwesenden Vater, der Schulleiterin, usw. Diese Runde erfüllt die Funktion die unterschiedlichen Perspektiven und Bezüge transparent zu machen. Im Anschluss an diese Reflexionsphase erfolgt ein kurzes Feedback durch die Fallgebende Person, welche Äußerungen sie besonders wahrgenommen hat oder ihr hilfreich und interessant vorkamen.

4.) Lösungsideen sammeln (10 Minuten)

Nach dem Perspektivwechsel geht es darum, Ideen zur Lösung des Falls beizutragen. Wichtig ist, dass allen Beteiligten deutlich wird, dass es nicht „die perfekte Lösung“ gibt, und die Beiträge viel mehr ein Angebot darstellen, von dem sich der/die Fallgeber*in inspirieren lassen kann. Denn es geht bei

der Beratung darum, die Handlungsoptionen zu erweitern und die Zufriedenheit des Fallgebers zu erhöhen.

Die Beratenden äußern so viele Ideen, wie sie möchten. Der*die Fallgeber*in hört dabei zu, ohne sofort Rückmeldung zu geben oder Beiträge zu kommentieren. Es dürfen aber durchaus Verständnisfragen gestellt werden. Die Ideen sollten dabei zur Visualisierung (z. B. auf Moderationskarten) festgehalten werden.

5.) Rückmeldung der*s Fallgebenden (10 Minuten)

Die Fallgebende Person kann nun zu den einzelnen Lösungsideen Rückmeldung geben. Die Moderation fragt dazu, welche Ideen der Beratenden bedenkenswert und hilfreich in Bezug auf die Schlüsselfrage/das Ziel erscheinen. Es muss dabei nicht auf alle Vorschläge eingegangen werden. Hierfür ist es jedoch nötig, dass übersichtlich visualisiert wurde, damit die Möglichkeit besteht, auf alle Ideen einzugehen. In dieser Runde sollten die Beratenden zuhören und nur bei Rückfragen reagieren.

6.) Gemeinsamer Abschluss/Formulierung eines Lösungsansatzes (5 Minuten)

In dieser Phase geht es darum, dass die/der Fallgeber*in die Umsetzung der favorisierten Ideen plant. Was könnten erste Schritte sein? Wer könnte bei diesen Schritten unterstützen? Hier geht es vor allem darum, konkrete Schritte vorzudenken und die Fallgebende Person zu bestärken, diese selbstständig zu gehen.

7.) Blitzlicht-Feedback zum Ablauf (Optional)

Wenn gewünscht kann die Beratungsrunde ein kurzes Blitzlicht durchführen, in der jede Person äußert, wie sie die Beratung (methodisch, nicht inhaltlich) empfunden hat, was mitgenommen wurde und wie einzelne Rollen wahrgenommen wurden.

Literatur

Frieß, Anne (o. J.): Kollegiale Fallberatung in der Grundschule. Hamburg: Persen.

Kutting, Dirk (18): Kollegiale Fallberatung. 1. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Meißner, S./Semper, I./Roth, S./et al. (2019): „Healthy teachers through peer consulting?“. In: Prävention und Gesundheitsförderung. Berlin/Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg 14 (1), 15– 21. https://doi.org/10.1007/s11553-018-0684-8

Rothe-Jokisch, Lona (2008): „Der Beitrag des Beratungsinstruments „Kollegiale Fallberatung“ zur Praxisentwicklung von Kooperationskreisen Schule-Jugendhilfe“. In: Gruppendynamik und Organisationsberatung. 39 (4), 464–476. https://doi.org/10.1007/s11612-008-0044-9

Zeiler, Ralph (2012): Kollegiale Fallberatung in der Schule: warum, wann und wie? Verlag an der Ruhr.


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