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Die sestina, sestina lirica oder canzone sestina (auf Deutsch Sestine) wurde von Arnaut Daniel (1150-1210), einem Trobador aus der Provence, erfunden und in der Canzone Provencale „Lo ferm voler qu’el cor m’intra“ verwendet. Sie fand im Mittelalter und in der Renaissance, besonders in Italien, unter anderem in Dante Alighieri und Francesco Petrarca, Nachahmer. Sie wurde zum ersten Mal von Dante, in der petrosa „Al poco giorno e al gran cerchio d’ombra“, in die italienische Literatur überführt. Hier erneuert Dante die provenzalische Sestine, da er nur Elfsilber benutzt (Arnault Daniel hatte auch Achtsilber verwendet). Petrarca macht aus der sestina eine konkrete Gedichtform und schreibt für seinen Canzoniere neun Sestinen. Die sestina wird somit zu einer klassischen Form der italienischen Lyrik: sie wurde von allen Nachahmern Petrarcas verwendet. Die Sestina ist wohl die italienische Gedichtform, die sich im Laufe der Jahrhunderte am wenigsten verändert hat. Sie wird aber auch als eine der anspruchsvollsten der gesamten Lyrik betrachtet. Die Besonderheit der Sestine als Gedichtform liegt darin, dass in sechs stanze (Strophen), die je sechs Verse enthalten, sechs permutierende parole-rima (Reimworte) auftauchen. Sie tauchen auch im abschließenden dreizeiligen congedo wieder auf. Die parole-rima sind Oberbegriffe und beziehen sich auf die Natur und die atmosphärischen Phänomene. Des Weiteren werden Metaphern, Periphrasen, Metonymien und Hyperbeln mehrmals angewendet. So erscheint die Sestine wie eine Art Metapher des menschlichen Gedankens, der das scheinbare Chaos der Erscheinungswelt organisiert. Die sestina unterscheidet sich von der sestina doppia. Diese metrische Form wurde von Petrarca im Canzoniere („Mia benigna fortuna e ’l viver lieto“) verwendet, aber von Dante erfunden („Amor tu vedi ben che questa donna“). Eine andere Form ist die sestina narrativa oder sesta rima, die aus einer stanza mit sechs Elfsilbern besteht. Die sestina narrativa war in Italien in der Renaissance nicht sehr beliebt und wurde dann im 18. und 19. Jahrhundert von Schriftstellern wie Casti, Giusti und Leopardi verwendet. |
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Die sestina besteht aus sechs stanze, die je sechs Verse enthalten, und einem congedo (letzte Strophe) mit drei Versen. Die stanze sind nicht in fronte und sirma geteilt. Die Verse sind alle endecasillabi und für die Reime wird das Verfahren der „coblas caucaudadas“ verwendet. Das bedeutet, dass der letzte Reim der vorhergehenden Strophe zum ersten der folgenden wird und so weiter. Das ganze Reimwort (parola-rima) wird wiederholt, nicht nur der Reim. Innerhalb einer stanza wird kein Reimwort wiederholt (coblas esprampas). Es ergibt sich für die erste stanza die Abfolge ABCDEF. Die Reimworte verschieben sich nicht nur in absteigender, sondern auch in aufsteigender Richtung (retrogradatio cruciata). In die zweite stanza wird erstens das letzte und erste Reimwort der vorigen stanza benutzt (F A), dann das vorletzte und zweite Reimwort (E B) und schließlich das vierte und dritte Reimwort (DC). Dieser Vorgang ist derselbe für die anderen stanze. Im congedo befinden sich drei der sechs Reimworte am Ende des endecasillabo und die anderen drei stehen innerhalb der Verszeile. Das Reimschema ist also ABCDEF, FAEBDC, CFDABE, ECBFAD, DEACFB, BDFECA Die sestina doppia bei Dante (oder sestina rinterzata/canzone ciclica) besteht aus fünf stanze (mit fronte und sirma) mit je zwölf Versen (Elfsilbern) und einem congedo mit sechs Versen. Ein Reimwort wird in jeder stanza sechs Mal wiederholt. Das Reimschema der ersten stanza ist ABAACAADDAEE. Für die folgende stanze wird das letzte Reimwort des vorherigen stanza zum ersten; das erste zum zweiten; das zweite zum dritten; das dritte zum vierten und das vierte zum fünften. Der congedo, AEDDCB, folgt die Reihenfolge des ersten Reimworts von jeder stanza und die in der Mitte wird verdoppelt. Das Reimschema ist ABAACAADDAEE, EAEEBEECCEDD, DEDDADDBBDCC, CDCCECCAACBB, BCBBDBBEEBAA, AEDDCB Die sestina narrativa besteht aus einer stanza mit sechs Elfsilbern und das Reimschema ist ABABCC. |
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Dante Alighieri, Al poco giorno e al gran cerchio d’ombra Al poco giorno e al gran cerchio d'ombra
Ma ben ritorneranno i fiumi a' colli,
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