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idÜberblick zum Versbau

Wie bereits angedeutet, zeichnet sich der italienische Vers gemäß dem silbenzählend-akzentuierendem Bauprinzip (metrica sillabico-accentuativa) durch das Zusammenspiel von zwei grundlegenden Kriterien aus: (1) Anzahl der Silben und (2) Position der letzten betonten Silbe. Im Folgenden soll auf beide Kriterien etwas detaillierter eingegangen werden. Anschließend wird eine tabellarische Übersicht über die sich daraus ergebenden Versarten (s. u.) geboten, welche in der italienischen Dichtungstradition einen mehr oder weniger regelmäßigen Gebrauch gefunden haben.

1. Erstes Prinzip des Versbaus: die Anzahl der Silben
Anders als in der quantitierenden Metrik der Antike oder auch im Deutschen, wo der Vers aus einer geregelten Wiederholung und Abfolge von mehrsilbigen Versfüßen (Trochäus, Daktylus, Jambus, usw.) hervorgeht, beruht der Vers in den romanischen Sprachen auf der Silbe als kleinster strukturbildender kleinste strukturbildende Einheit bzw. als modular kombinierbarem kombinierbares Bauelement. In der italienischen Dichtung hat sich seit dem Mittelalter das Prinzip des Isosyllabismus (isosillabismo) durchgesetzt: Dementsprechend werden Verse, die dieselbe Silbenzahl aufweisen, derselben Versart zugeordnet, unabhängig davon, ob ihnen ähnliche oder unterschiedliche Rhythmusmuster zugrunde liegen. Auch die Benennung der verschiedenen Versarten (s. u.) erfolgt nach der Anzahl der Silben: endecasillabo (,Elfsilbler‘), settenario (,Siebensilbler‘), usw.

Die richtige Identifizierung der Silben im Verszusammenhang bildet also eine unerlässliche Voraussetzung für die Bestimmung des Versmaßes – wobei im dichterischen Sprachgebrauch mit ,poetischen Lizenzen‘, d. h. mit relativ gewöhnlichen Abweichungen von den Maßstäben der Normalsprache zu rechnen ist. Einen besonders beachtenswerten Sonderfall bei der metrischen Silbenzählung stellt das Aufeinandertreffen von Vokalen innerhalb des Wortes sowie bei der Wortfolge dar: Aufgrund der unter bestimmten Umständen eintretenden Vokalverschleifungen ist es durchaus möglich, dass metrische (d.h. zur Versbildung künstlerisch zusammengefügte) Silben den grammatischen Silben nicht entsprechen.

Diese metrischen Besonderheiten ...

... können nicht unerhebliche Schwierigkeiten bei der Erkennung des Versmaßes bereiten. Deswegen empfehlen wir Ihnen, sich mit den vertraut zu machen und dazu Basiskenntnisse über die verschiedenen Möglichkeiten des poetischen Umgangs mit (, ) zu erwerben, bevor Sie hier unten weiterlesen.

2. Zweites Prinzip des Versbaus: die Position der letzten betonten Silbe

Obwohl die Silbenzahl als Grundprinzip der italienischen Prosodie gilt, trägt daneben auch der Akzent (accento, in der Fachsprache gelegentlich auch als ictus bezeichnet) zur Bestimmung der Versart bei.

„In italiano l’accento è la caratteristica per cui una sillaba è articolata con più energia delle altre (accento di intensità, o dinamico): questa si dice tonica, le altre si dicono atone.
(BELTRAMI, Pietro G.: Gli strumenti della poesia. Guida alla metrica italiana. Bologna: Il Mulino, 1996, S. 53).

Auf die letzte betonte Silbe (sillaba tonica) folgt normalerweise in italienischen Versen noch eine unbetonte Silbe: Dies entspricht dem üblichen Betonungsmuster der italienischen Sprache, die – im Unterschied zum Deutschen oder auch zum Französischen – eine große Mehrzahl an parole piane (d. h. auf der vorletzten Silbe betonten Wörtern: z. B. amore, vita, straordinariamente, vedere, usw.) aufweist.

Aus diesem Sprachmerkmal hat sich eine metrische Konvention heraus entwickelt: Der verso piano (d. h. der Vers, der mit einer parola piana schließt) bildet dabei den prosodischen Normaltyp der italienischen Dichtung, und nach diesem Normaltyp richtet sich die Bestimmung des Versmaßes auch bei anders betonten Versenden. Denn das Italienische kennt auch parole tronche (tronco: ,abgebrochen, abgeschlagen‘), bei denen der Akzent auf die letzte Silbe fällt (z. B. così, felicità), sowie parole sdrucciole (sdrucciolare: ,gleiten‘), die dagegen auf der vorvorletzten Silben betont sind (z. B. possibile, vincere). Befinden sich diese Wörter am Versende, erfolgt allerdings die Zuordnung zur Versart immer noch gemäß dem prosodischen Grundmuster des verso piano. Das bedeutet: Die Versart ergibt sich aus der Position der letzten betonten Silbe, der noch eine Silbe konventionell hinzugezählt wird – unabhängig davon, ob und wie viele weitere Wortsilben tatsächlich folgen.

In diesem Sinne ist die Tonstelle am Versende (Hauptakzent bzw. accento principale) noch entscheidender als die bloße Silbenzahl: Ist etwa die letzte betonte Silbe die zehnte des Verses, handelt es sich immer um einen Elfsilbler (endecasillabo), egal, ob in der Tat – wie im Normalfall – eine unbetonte Silbe hinzu kommt (endecasillabo piano), oder sich hingegen zwei weitere Silben (endecasillabo sdrucciolo) bzw. gar keine (endecasillabo tronco) feststellen lassen.

Zur Veranschaulichung seien drei Verse aus Dantes Divina Commedia herangezogen. Ungeachtet des unterschiedlichen Versendes sind sie alle als endecasillabi zu klassifizieren, weil sie alle den Hauptakzent auf der zehnten Silbe tragen:

  • Nel1 mez2zo3 del4 cam5min6 di7 no8stra9 vi10ta11 (Inferno I 1) endecasillabo piano (10 + 1)
  • O1ra2 cen3 por4ta5 l’un6 de‘7 du8ri9 mar10gi11ni12 (Inferno XXXI 145) endecasillabo sdrucciolo (10 + 2)
  • ‚Spe1rent2 in3 te4‘ di5 so6pr’a7 noi8 s’u9dì10 (Paradiso XXV 98) endecasillabo tronco (10 + 0)

Dasselbe gilt für die anderen Versarten. Im settenario ist z.B. der Hauptakzent auf der sechsten Silbe entscheidend: Je nachdem, ob am Versschluss eine parola tronca, piana oder sdrucciola steht, können dann noch keine, eine oder zwei weitere unbetonte Silben folgen.

Zusammenfassung
Anzahl der unbetonten Silben nach dem Hauptakzent am VersendeBetonungstyp
+ 0verso tronco
+ 1verso piano (Normaltyp, nach dem sich die Bestimmung des Versmaßes richtet)
+ 2verso sdrucciolo

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Aus der Kombination der beiden oben besprochenen Kriterien (Silbenzahl und Position der letzten betonten Silbe) – im Fachlexikon auch unter dem allgemeinen Stichwort sillabismo bekannt – ergeben sich verschiedene Versarten, die dann in einem Gedicht ggf. durch den miteinander verbunden und zu isometrischen (d. h. ausschließlich aus gleichartigen Versmaßen bestehenden) bzw. heterometrischen (d.h. unterschiedliche Versmaße in einer bestimmten Reihenfolge umfassenden) Strophen gruppiert werden können.

Je nachdem, ob die Silbenzahl gerade oder ungerade ist, werden die Verse als parisillabi oder imparisillabi bezeichnet:INLINE

In seinem Traktat De vulgari eloquentia (II, v, 6) vertritt Dante die Meinung, die geradzahligen Verse seien ,gröber‘ und deswegen weniger geeignet für eine gehobene Dichtersprache als die ungeradzahligen. Tatsächlich werden die versi imparisillabi in der Geschichte der italienischen Dichtung am häufigsten verwendet: Als Hauptvers hat sich dabei der endecasillabo bereits Ende des 13. Jhs. durchgesetzt. Neben dem Elfsilbler kommt aber auch in anspruchsvollen Texten (wie der ) der settenario ebenfalls zum regelmäßigen Einsatz.

Versi parisillabi

(geradzahlige Verse)

Versi imparisillabi

(ungeradzahlige Verse)

[2] Bisillabo (Zweisilbler):
Hauptakzent auf der 1. Silbe

z. B.: O1di2, / O1di2!

(F. Sacchetti, Passando con pensier, V. 26-27)

[3] Trisillabo (Dreisilbler):
Hauptakzent auf der 2. Silbe

z. B.: La1 mor2te3 / si1 scon2ta3 / vi1ven2do3

(G. Ungaretti, Sono una creatura, V. 12-14)

[4] Quadrisillabo (Viersilbler):
Hauptakzent auf der 3. Silbe

z. B.: Ac1cu2sa3to4, / tor1men2ta3to4, / con1dan2na3to4

(F. Redi, Bacco in Toscana, V. 43-45)

[5] Quinario (Fünfsilbler):
Hauptakzent auf der 4. Silbe

z. B.: Fon1ti^e2 col3li4ne5, / chie1si^a2gli3 dè4i5

(I. Pindemonte, La melanconia, V. 1-2)

[6] Senario (Sechsilbler):
Hauptakzent auf der 5. Silbe

z. B.: Quel1 lab2bro^a3do4ra5to6 / mi^è1 gra2to3, m’ac4cen5de6

(P. Metastasio, Demetrio, 3. Akt, 4. Szene)

[7] Settenario (Siebensilbler):
Hauptakzent auf der 6. Silbe

z. B.: O1 na2tu3ra4 cor5te6se7, / son1 que2sti^i3 do4ni5 tuo6i7

(G. Leopardi, La quiete dopo la tempesta, V. 42-43)

[8] Ottonario (Achtsilbler):
Hauptakzent auf der 7. Silbe

z. B.: Bel1le2 ro3se4 por5po6ri7ne8

(G. Chiabrera, Riso di bella donna, V. 1)

[9] Novenario (Neunsilbler):
Hauptakzent auf der 8. Silbe

z. B.: Il1 gior2no3 fu4 pie5no6 di7 lam8pi9

(G. Pascoli, La mia sera, V. 1)

[10] Decasillabo (Zehnsilbler):
Hauptakzent auf der 9. Silbe

z. B.: Sof1fer23ti4 sul5l’a6ri7da8 spon9da10

(A. Manzoni, Marzo 1821, V. 1)

[11] Endecasillabo (Elfsilbler):
Hauptakzent auf der 10. Silbe

z. B.: Sem1pre2 ca3ro4 mi5 fu6 que7st’er8mo9 col10le11

(G. Leopardi, L‘infinito, V. 1)

Dazu besteht die Möglichkeit, einzelne Versarten zu Doppelversen zusammenzufügen. Solche Doppelverse lassen sich vor allem in frühneuzeitlichen Musikdramen bzw. Opernlibretti sowie gelegentlich beim metrischen Experimentieren von Giosuè Carducci Ende des 19. Jhs. wiederfinden. Ein paar Beispiele dafür:

doppio quinario: Quel1l’i2ra^i3stes4sa5 (+) che^in1 te2 fa3vel4la5 (P. Metastasio, Il Ruggiero, 2. Akt, 3. Szene)

doppio settenario bzw. martelliano: Su^i1 cam2pi3 di4 Ma5ren6go7 (+) bat1te2 la3 lu4na5; fo6sco7 (G. Carducci, Su i campi di Marengo, V. 1)

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idZusammenfassende Hinweise zur Bestimmung des Versmaßes
Zusammenfassende Hinweise zur Bestimmung des Versmaßes

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idZusammenfassende Hinweise zur Bestimmung des Versmaßes

1. Zählen Sie alle metrischen Silben, die Ihnen vor der letzten Tonstelle (Hauptakzent) begegnen.

2. Achten Sie dabei insbesondere auf . Im Prinzip gilt Folgendes:

  • Aufeinandertreffende Vokale innerhalb ein und desselben Wortes bilden i.d.R. eine einzige metrische Silbe (Synärese), wobei am Versende die auslautende Vokalverbindung Tonvokal + unbetonter Vokal (nessi discendenti) in zwei getrennte Silben geteilt wird (Diärese).
  • Im Verszusammenhang: Wenn bei der Wortfolge ein auslautender und ein anlautender Vokal aneinander stoßen, werden sie normalerweise verschliffen und als eine einzige metrische Silbe gezählt (Synalöphe).

Aber Vorsicht: Ausnahmen sind möglich, und unter bestimmten Umständen können die aufeinandertreffenden Vokale getrennt ausgesprochen werden (Dialöphe)!

3. Rechnen Sie nach der letzten betonten Silbe noch eine Silbe hinzu und leiten Sie aus der daraus resultierenden Zahl die Versart ab, egal, ob und wie viele weitere Silben tatsächlich folgen. Wenn die letzte betonte Silbe die zehnte ist, haben Sie etwa mit einem endecasillabo zu tun (10 + 1 > Elfsilbler); der Hauptakzent auf der sechsten Silbe macht hingegen einen settenario aus (6 + 1 > Siebensilbler), usw.

4. Wenn Sie noch den prosodischen Verstyp bestimmen möchten, überprüfen Sie jetzt, ob nach dem Hauptakzent tatsächlich eine Silbe vorkommt (verso piano), oder der Vers von diesem Grundmuster abweicht und keine (verso tronco) bzw. zwei weitere Silben (verso sdrucciolo) umfasst.