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Petrarca, RVF 35

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Solo et pensoso i piú deserti campi
vo mesurando a passi tardi et lenti,
et gli occhi porto per fuggire intenti
ove vestigio human l’arena stampi.

Altro schermo non trovo che mi scampi
dal manifesto accorger de le genti,
perché negli atti d’alegrezza spenti
di fuor si legge com’io dentro avampi:

sì ch’io mi credo omai che monti et piagge
et fiumi et selve sappian di che tempre
sia la mia vita, ch’è celata altrui.

Ma pur sí aspre vie né sí selvagge
cercar non so ch’Amor non venga sempre
ragionando con meco, et io co’llui.

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A
B
B
A

A
B
B
A

C
D
E

C
D
E

Prima quartina



Seconda quartina



Prima terzina


Seconda terzina



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FRANCESCO PETRARCA: Canzoniere. Hg. von Marco Santagata. Milano: Mondadori, 1996, S. 190-193.

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“Solo et pensoso i più deserti campi” ist das 35. in Petrarcas Rerum vulgarium fragmenta. Die meisten dieser Gedichte sind zwischen 1336 und 1369 entstanden. Das Werk umfasst insgesamt 366 Gedichte: Sonette, , , und . Der Canzoniere, der in zwei Teile unterteilt ist (“in vita” und “in morte”), stellt keine Sammlung von Gedichten aller Typen und Themen dar, sondern wird relativ früh als ein kohärenter Zyklus konzipiert, den Petrarca ständig erweitert.[1] Es handelt sich dabei um ein Werk, das eine ganze Palette an Emotionen verknüpft, nämlich die Gefühle, denen sich das lyrische Ich während seines ganzen Lebens hingibt und die retrospektiv im RVF 1 Ausdruck finden. Das hier analysierte Sonett befindet sich im ersten Teil des Werkes. Die schmerzhafte Liebe des lyrischen Ichs sowie seine Einsamkeit, die ganz bewusst als Lebensweise gewählt ist, und seine Beziehung zur Natur, wo er sich mit seinen eigenen Gedanken zurückziehen kann, werden thematisiert. Dieses Sonett ist eines der berühmtesten Gedichte im Canzoniere.

In dem Sonett “Solo et pensoso i più deserti campi ” taucht das lyrische Ich bereits im ersten Vers auf. Es befindet sich an einem Ort, der weit von den anderen entfernt ist. Außerdem läuft es langsam und gemessenen Schrittes („vo mesurando a passi tardi e lenti”), was das Gefühl einer Verlangsamung erweckt. Es scheint, als hätte dieses Geschehen bereits lange zuvor begonnen und würde auch in der Zukunft nie enden: Dieser Effekt wird erzeugt durch die Wiederholbarkeit des Geschehens[2] (die Verben stehen alle in Präsens). Folglich kann man sagen, dass das lyrische Ich auf seinen emotionalen Zustand verweist. Es fühlt sich allein und ist in Gedanken versunken (“solo” und “pensoso”), was zu einer Einheit / Übereinstimmung zwischen seelischem und physischem Zustand führt: aus der seelischen Perspektive betrachtet ist er allein und traurig, aus der physischen ist er kraftlos. In diesem Fall bedeutet “pensoso” nicht “nachdenklich”, sondern “traurig”, “betrübt”, “bekümmert”.[3]Im dritten und vierten Vers wird klar, warum das lyrische Ich nach der Einsamkeit sucht, welche das Hauptthema des Sonetts ist.[4] Es flieht vor anderen Menschen und will lieber in der unberührten Natur allein bleiben. Hier kann man eine Parallele zwischen dieser unberührten Natur und der reinen Liebe des lyrischen Ichs erkennen, und zwar zwischen den Orten, die frei von menschlichen Überresten sind (“vestigio umani”), und seiner großen, einzigartigen Liebe.

Im zweiten Quartett erklärt das lyrische Ich, wovor es sich schützen will: Es sind die Menschenmengen, die ihm von außen ansehen, wie es innerlich verbrennt. Bereits im ersten Vers dieses Quartetts (“Altro schermo non trovo che mi scampi”) findet man eine Anastrophe, die betont, dass das lyrische Ich keinen Schutz ("schermo") vor den Menschen finden kann. Seine einzige Möglichkeit ist, sich in den unfruchtbaren und verlassenen Gebieten (“deserti campi”) zu verstecken. Die Metapher des inneren Leidens ist ein Zeichen für die Schmerzen, die die unerfüllte Liebe mit sich bringt. Im 7. und 8. Vers kann man ein oppositionelles Wortpaar finden (“spenti/avampi”), sowie eine Litotes für den Frohsinn (“spenti”).[5] Im 8. Vers ist außerdem noch eine Opposition zwischen innerlichem und äußerlichem Raum (in metaphorischem Sinne) zu beobachten: “fuor” und “dentro”, wodurch der Unterschied zwischen dem an sich selbst interessierten lyrischen Ich und den anderen Personen noch stärker  unterstrichen wird. Dieser Unterschied besteht darin, dass er seine Liebe als sehr leidenschaftlich und “brennend” bezeichnet.

Im ersten Terzett wird klar, dass die Isolation seine eigene Wahl ist. Hier werden konkrete Naturelemente aufgelistet, nämlich Gebirge und Flussufer sowie Flüsse und Wälder (“monti e piagge, et fiumi et selve”). All diese unberührten Orte stehen im Kontrast zu den Leuten, die einen Blick auf das lyrische Ich werfen können. Die Landschaft wird nicht genau definiert, also es wird nicht präzisiert, in welchem Gebiet das lyrische Ich sich befindet,[6] weil alle Naturobjekte in Pluralform erwähnt werden.Diese Elemente sind mit wiederholten Konjunktionen “et...et...et” verknüpft (Polysyndeton: Vers 10-11) und chiastisch verteilt (“monti-selve / piagge-fiumi”). Das lyrische Ich strebt nach dieser Vereinsamung ganz zielbewusst. Zwar “fühlt” auch die Natur seinen Schmerz (“sappian di che tempre sia la mia vita”), aber das lyrische Ich weiß, dass sie sein Geheimnis für sich behalten wird. Dort ist sein Leid für immer versteckt. Es scheint als sei die Natur das Einzige, das ihm die Möglichkeit gibt, ganz allein mit seinen Gedanken zu sein, denn dort soll es seine Schwermut nicht verstecken.In diesem Sonett ist die Natur personifiziert, woraus man die Schlussfolgerung ziehen kann, dass zwischen der Natur und dem lyrischen Ich eine Dissonanz entsteht, die allerdings ausgleichend zu einer Harmonie führt.[7]

Im zweiten Terzett enthüllt das lyrische Ich, dass es sein Ziel ist, die Liebe zu vermeiden und sich heilen zu lassen, obwohl der Weg dahin nicht leicht ist. Die Alliteration von “r” und “s” im 12. Vers unterstützt die Behauptung, dass der Weg schwer und rau ist und betont außerdem die Rauheit der Landschaft (“Ma pur sí aspre vie né sí selvagge”). Somit entsteht ein Kontrast zwischen dem schweren Weg und der Idee, dass es nur in der Natur einsam wird. Die schmerzhafte Liebe ist für ihn das lyrische Ich lästig, weshalb es sich mithilfe der Isolation vor ihr retten lassen will. Trotzdem kann es sein, dass sich das lyrische Ich an die Liebe erinnert,  wenn Amor ein Gespräch mit dem Liebenden führen will (”ragionando con meco, et io co’llui”). Genau hier, in den letzten zwei Versen, befindet sich ein Parallelismus: “Amor/meco/io co’llui”. Dieses Stilmittel verstärkt die Bedeutsamkeit des angedeuteten Gesprächs für das lyrische Ich. Hier kann man außerdem den Wandel des Liebenden von “pensoso” am Anfang bis zum “ragionando” zum Schluss nachverfolgen. Es scheint, als ob es seine Gefühle vor den anderen verstecken will, aber sich inzwischen sogar vor Amor versteckt – eine Metapher für die Liebe, in diesem Fall auch eine Metapher für die Dame Laura.

Ähnlich zu vielen anderen Sonetten in Petrarcas Canzoniere spricht das lyrische Ich über seine Emotionen (das Sonett erfüllt somit eine emotive Sprachfunktion), die als Folge der unerfüllten Liebe auftauchen.

Der Text ist regelmäßig strukturiert; das Reimschema lautet: ABBA, ABBA, CDE, CDE. In den Quartetten ist der Reim umschlingend, während sich in den Terzetten Kreuzreime befinden. Alle Verse sind Elfsilber. Die Reime “campi-stampi” und “scampi”-”avampi” sind reiche Reime. In den Versen 9 und 10 ist ein Enjambement zu finden, das die Monotonie des Verses durchbricht und das den umfangreichen Raum der Natur unterstreicht.



[1] Penzenstadler, S. 337.

[2] Hugo, S. 244.

[3] König, S. 258.

[4] Hugo, S. 244.

[5] Mondin, S. 40.

[6] Hugo, S. 244.

[7] Hugo, S. 245.

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