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Diese Analyse wurde im Rahmen des Kurses "Liebeslyrik der Renaissance und des Barock" von Leonie Bartels verfasst.

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Giacomo Leopardi, A SilviaLorenzo de' Medici, Canzona di Bacco

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Quant’è bella giovinezza
che si fugge tuttavia:
chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Quest’è Bacco e Arianna,
belli, e l’un dell’altro ardenti:
perché ’l tempo fugge e inganna,
sempre insieme stan contenti.
Queste ninfe e altre genti
sono allegri tuttavia.
Chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Questi lieti satiretti,
delle ninfe innamorati,
per caverne e per boschetti
han lor posto cento agguati;
or da Bacco riscaldati,
ballon, salton tuttavia.
Chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Queste ninfe anche hanno caro
da lor essere ingannate:
non può fare a Amor riparo,
se non gente rozze e ingrate;
ora insieme mescolate
suonon, canton tuttavia.
Chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Questa soma, che vien drieto
sopra l’asino, è Sileno:
così vecchio è ebbro e lieto,
già di carne e d’anni pieno;
se non può star ritto, almeno
ride e gode tuttavia.
Chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Mida vien drieto a costoro:
ciò che tocca, oro diventa.
E che giova aver tesoro,
s’altri poi non si contenta?
Che dolcezza vuoi che senta
chi ha sete tuttavia?
Chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Ciascun apra ben gli orecchi,
di doman nessun si paschi;
oggi sìan, giovani e vecchi,
lieti ognun, femmine e maschi.
Ogni tristo pensier caschi:
facciam festa tuttavia.
Chi vuol esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

Donne e giovinetti amanti,
viva Bacco e viva Amore!
Ciascun suoni, balli e canti,
arda di dolcezza il core,
non fatica, non dolore!
Ciò ch’ha a esser, convien sia.
Chi vuole esser lieto, sia,
di doman non c’è certezza.

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LORENZO DE' MEDICI: Tutte le opere. Hg. von Paolo Orvieto.

Rom/

Roma: Salerno editrice, 1991. Band 2, S. 799-804.

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Einleitung

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Lorenzo de’ Medicis Canzona di Bacco, oft auch als Di Bacco e Arianne, Canzona de la bachaneria, Il trionfo di Bacco e Arianne oder auch Baccanalia betitelt, ist auf 1490 datiert worden.[1] Die Ballade lässt sich seinen Karnevalsliedern, den sogenannten canti carnascialeschi, zuordnen.

Lorenzo, seinerzeit auch Il Magnifico genannt, wird eine große Rolle in dieser Gattung zuteil, wobei die einen in ihm den Begründer dieser sehen, andere ihn jedoch eher als genialen Neuerfinder feiern.[2] Sein Spitzname rührt unter anderem von seiner Beliebtheit in seiner Rolle als führender Politiker in Florenz, welche die Medici-Familie über mehrere Generationen innehatte.

Die canti carnascialeschi sind als Beitrag zu den Florentiner Narrenfesten entstanden, welche mit antiken Fruchtbarkeitsriten in Zusammenhang stehen[3] und die gleichzeitig eine wichtige Rolle innerhalb des religiösen Kalenders (Karneval) spielen, und sich durch spielerisch unterhaltende Elemente auszeichnen.

Im Folgenden soll sowohl der Inhalt der Canzona di Bacco als auch deren Form aufgeschlüsselt werden.



[1] Orvieto, Tutte le opere, S.799.

[2] Orvieto, Lorenzo de’ Medici, S.75.

[3] Friedrich, S.300

Die Geschichte der sog. canzone libera, die als Erfindung Giacomo Leopardis gilt, beginnt 1828 mit A Silvia. Während Leopardis erste Kanzonen noch als Variationen der klassischen canzoni petrarchesche und dantesche verstanden werden können,[1] bricht A Silvia mit jeder bis dahin bekannten metrischen Form. Diese canzone libera, die Leopardis freieste Schaffensphase einläutete, soll Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein. Es werden sowohl die inhaltlichen, als auch die formalen Charakteristika und Besonderheiten von A Silvia erörtert und anhand konkreter Textbeispiele verdeutlicht. Hierbei soll die zusammenfassende Darstellung des Inhalts und der Form der Kanzone mit der analytischen Betrachtung derselben verwoben werden. Auch die in der Lyrik so wichtige Frage nach der Verknüpfung von Inhalt und Form soll Raum und zumindest in Ansätzen Antwort finden.

[1] Vgl. bspw. Lavezzi, Gianfranca, Manuale di metrica italiana, Rom 1996, S. 236

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Textanalyse

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Inhalt

Die traurige Geschichte, die A Silvia zugrunde liegt, lässt sich in aller Kürze zusammenfassen: Silvia, ein wunderschönes junges Mädchen, stirbt unvermutet an einer Krankheit. Das lyrische Ich, vermutlich ein Nachbar Silvias, bewundert die schöne Jugendliche und lässt sich bisweilen von seiner Arbeit ablenken, um ihrer Stimme zu lauschen. Als sie dann unerwartet in so jungen Jahren stirbt, ist der stille Beobachter erschüttert, gerät in eine tiefe Sinnkrise und wirft der Natur vor, dass sie ihre eigenen Kinder betrüge: „O natura, o natura, / Perchè non rendi poi / Quel che prometti allor? perchè di tanto / Inganni i figli tuoi?[1] Die Antwort auf diese Frage fällt vernichtend aus: Das lyrische Ich spekuliert, dass der Tod, auch wenn er so plötzlich und ungerecht ist, offenbar das Schicksal der Menschen sei. Nichts anderes als die Wahrheit habe die junge Tote ihm offenbart, als sie starb: „All’apparir del vero / Tu, misera, cadesti [...].“ (V. 60-61).

Ob es eine reale „Vorlage“ für Silvia gab, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Eine weit verbreitete Theorie führt die erdichtete Figur Silvia auf Teresa Fattorini zurück,[2] die junge Tochter von Leopardis Kutscher in Recanati. Genau wie Silvia starb Teresa Fattorini in jungen Jahren an einer tödlichen Krankheit, vermutlich an Tuberkulose.[3]

Die Botschaft der melancholischen Kanzone scheint auf den ersten Blick eindeutig: Der Tod entzieht sich der menschlichen Gerechtigkeit. Er ereilt die Menschen zufällig, niemand ist vor ihm sicher, niemand kann ihn kommen sehen, nicht einmal junge, scheinbar vor Gesundheit und Schönheit strotzende Menschen. In seinem Zibaldone betont Leopardi die Bedeutung der Jugend als etwas Göttliches, Reines und Wunderschönes: „[U]na giovane dai 16 ai 18 anni ha nel suo viso, ne’ suoi moti, nelle sue voci, salti ec. un non so che di divino, che niente può agguagliare.[4] Er vergleicht die Wirkung eines jungen Mädchens mit der einer Blume: „[...] quel fiore purissimo, intatto, freschissimo di gioventù, [...] quel primissimo fior della vita [...].“ (Zib., S. 4310). Ferrucci zufolge sind diese von Leopardi im Zibaldone gepriesenen Eigenschaften des Jugendalters auf die Figur Silvia übertragbar.[5] Tatsächlich gibt es auch im Gedicht selbst viele Hinweise auf die Jugend als idealen Zustand. Schon in der ersten Strophe betont das lyrische Ich die berauschende Schönheit von Silvia, die die Schwelle oder Grenze („il limitare“, V. 5) der Jugend erklimmt. Die Idee, dass es eine Grenze gibt, nach deren Überschreitung die Jugend unwiederbringlich verloren ist, unterstreicht zusätzlich, wie bedeutsam und einzigartig diese Zeit ist. Das lyrische Ich hat diese wichtigen Jahre seiner Jugend nach eigener Aussage mit Studien vergeudet: „Io gli studi leggiadri / Talor lasciando e le sudate carte, / Ove il tempo mio primo / E di me si spendea la miglior parte [...].“ (V. 15-18).

Dieses Göttliche und Reine der Jugend, das im ersten Teil des Gedichts zelebriert wird, macht den Tod Silvias im zweiten Teil umso tragischer. Keine gestandene Dame stirbt hier an Krankheit oder Alter, und es ist

Inhaltlich beschränkt sich Lorenzo de’ Medicis auf den Triumphzug des Weingottes Bacchus zusammen mit seiner Frau Ariadne, welche die Hierogamie, also die heilige Hochzeit zwischen Gott und Königin, feiern.[1] Begleitet wird ihr Wagen von singenden und tanzenden Nymphen, Satyrn und Sirenen, allesamt bedeutende Gestalten aus der griechischen Mythologie.

Als zentrales Leitmotiv geht deutlich der Carpe-Diem-Sinnspruch hervor, der ein charakteristisches Thema der Balladen des 14. und 15. Jahrhunderts darstellt, sich aber auch durch alle Produktionen zieht, die mit den Werken des „popolareggiante“ verbunden sind.[2] Der Sinnspruch verweist gleichzeitig auf Senecas De brevitate vitae,[3] wobei diese Intertextualität auf die Ernsthaftigkeit der Canzona verweist, da Seneca in seinem Werk mit philosophischen Ansätzen den Gebrauch der gegebenen Lebenszeit hinterfragt.

Deutlich zu erkennen ist das Motiv der Lebensfreude und eine Erinnerung an die Kürze des Lebens in dem wiederkehrenden Refrain der Ballade.

So ist der Triumphzug des Gottes Bacchus, welcher maskiert durch die Menschenmassen zieht und hierbei von ebenfalls maskierten Männern, Satyrn und Nymphen begleitet wird, auch eine für die Renaissance typische, wiederkehrende Tradition der Antike, welche schon in den Anthesterien[4] geehrt[5] wurde.

Ariadne, ebenfalls eine wichtige Figur der griechischen Mythologie, kann ein Symbol für die ewige Jugend sein, deren immerwährende Liebe zu Dionysos gepriesen wird: „[...] Sempre insieme stan contenti“ (V.8) und welcher durch die Vermählung mit einem Gott die ewige Jugend zuteilwird[6].

Die Ballade, gegliedert in insgesamt acht Strophen, widmet sich der Beschreibung weiterer Figuren, die mit dem Mythos von Dionysos einhergehen, jeweils am Anfang jeder Strophe, beispielsweise den ausgelassen tanzenden und feiernden Satyrn (V.13-16), Silenos (Strophe 5) und dem König Mida (Strophe 6).

Diese stellen wiederum einen Verweis auf eine homerische Hymne dar, in welcher ebenfalls auf die Liebe zwischen Satyrn und Nymphen angespielt wird[7].

Schlussendlich rufen die abschließenden beiden Strophen das Publikum, heute den Rezipienten, dazu auf, ihre Sorgen zu vergessen und den Tag und auch das Leben zu genießen.



[1] Orvieto, Tutte le opere, S. 800.

[2] Ibid.

[3] Orvieto, Antologia della poesia italiana, S. 158.

[4] Dt. Bezeichnung der Baccanali.

[5] Orvieto, Tutte le opere, S. 800.

[6] Ibid.

[7] Orvieto, Tutte le opere, S. 802.

Form

Die Canzona di Bacco lässt sich der Gattung der Ballade zuordnen und folgt formal ebenfalls ihren Strukturen, obwohl die ripresa in der „klassischen“ Ballade nicht wiederholt wird – deswegen kann die Canzona hier als canzone a ballo definiert werden. Sie gliedert sich in acht Strophen, wobei die erste im Gegensatz zu den folgenden vierversig statt achtversig ist und den sich in jedem Vers wiederholenden Refrain darstellt. Das Reimschema lässt sich durch das ebenfalls für die Ballade typische Schema xyyx; ab ab byyx darstellen.

Die letzten beiden Verse der Strophen stellen, ohne Ausnahme, den Refrain „[...] Chi vuol esser lieto, sia, di doman non c’è certezza“ dar, wobei alle Verse des Gedichtes achtsilbig sind.

Da der Refrain ein- bis vierversig sein kann, unterscheidet man hier zwischen verschiedenen Formen, die jeweils die Art der ballata bestimmen. Im Falle der Canzona di Bacco handelt es sich um eine ballata minore, die sich dadurch kennzeichnet, dass der Refrain bzw. die ripresa aus zwei Versen besteht.

Als wichtiger Aspekt ist noch zu nennen, dass der Reim y in allen Strophen mit „tuttavia“ und „sia“ gebildet wird, außer in der abschließenden, in welcher ein „sia“ auf ein weiteres „sia“ folgt und somit zu einem tautologischen Reim wird.

Wie in 2.1 erwähnt, werden in den Strophen Figuren der griechischen Mythologie beschrieben, die ausgelassen feiern und tanzen und alle jeweils einen Grund haben, den Moment zu genießen. Ausgedrückt wird dies mitunter durch die Anaphern der Demonstrativa „questo“ (vgl. Strophe 2) und „quanto“ (Strophe 1), die variiert jeweils die Einleitung der Beschreibung der Figuren in den verschiedenen Strophen darstellen. Wahrscheinlich ist, dass diese rhetorische Figur auf den ursprünglichen Zweck der Mündlichkeit verweist, da die Canzona während eines Triumphzuges gesungen wurde.

Auffällig ist auch, dass eine starke Isotopieebene der Freude beziehungsweise des Feierns genutzt wird, um dies zum Ausdruck zu bringen: „belli“ (V. 6) „ardenti“ (V. 6) „allegre“ (V. 10) „ballon“ und „salton“ (beide V. 18), „suonon“ und „canton“ (V. 26), „ride“ und „gode“ (V. 34) usw., wobei diejenigen, die diese Liebe und Freude nicht teilen, als „[...] gente rozze e ingrate“ (V. 24) beschrieben werden.

Die canzone vermittelt, vor allem durch die zuvor genannten Adjektive und Verben, den Eindruck der Ausgelassenheit. Demgegenüber steht jedoch die Nostalgie, die in jedem der Verse mitschwingt und durch die Vergänglichkeit und das Schwinden der Jugend und Freude, ebenfalls stark durch den Refrain ausgedrückt wird.

Der Autor eröffnet mit den Versen: „Quant’è bella giovinezza, che si fugge tuttavia“ (V. 1-2), die das Thema der vergänglichen Jugend deutlich machen, die Ballade und verweist somit zentral auf die Botschaft der Canzona di Bacco. Jedoch steht dies Ariadnes nun unvergänglicher Jugend gegenüber.[1]

Auch die Metapher des Wortes „sete“ (V.42), welches hier als desiderio[2] übersetzt werden kann, untermauert die nostalgische Kehrtwende des freudigen „Carpe Diem“ einmal mehr. In diesem Vers wird die Geschichte des Königs Mida aufgegriffen, welcher von Dionysos die Gabe erhielt, alles, was er anfassen würde, in Gold zu verwandeln.[3] Jedoch ist er seither nicht mehr in der Lage, seine Grundbedürfnisse zu stillen, wie etwa die Nahrungsaufnahme, und ist so ein Paradebeispiel des Übermutes, der auftritt, wenn die Dinge die gegeben sind, nicht geschätzt werden.

Es finden sich auch Bilder der christlichen Kultur wieder, so wie der in Vers 30 erwähnte Esel.[4] Dieser steht symbolisch für den Eintritt Christus in Jerusalem und wird immer wieder als ein christliches Sinnbild gebraucht.



[1] Orvieto, Tutte le opere, S. 800.

[2]  Orvieto, Antologia della poesia italiana, S. 160.

[3] Ibid.

[4] Orvieto, Tutte le opere, S. 802

auch kein dramatischer Unfall oder gar Mord, der Silvia ums Leben bringt. Solche Fälle sind zwar gewiss ebenso tragisch, aber doch leichter zu akzeptieren, als die tückische, versteckte Krankheit („chiuso morbo“,V. 41), die das junge Mädchen ausgerechnet in ihren besten Jahren niederstreckt. Im Zibaldone hält Leopardi fest, dass Krankheiten, die einen Menschen Stück für Stück verändern und schließlich töten, den Hinterbliebenen für immer die gesunden und schönen Erinnerungen an den Toten rauben. Deshalb sei es weitaus weniger quälend, eine geliebte Person einfach sterben zu sehen „che il vederla deperire e trasformarsi nel corpo e nell’animo da malattia [...].“ (Zib., S. 479). Dem oben beschriebenen Motiv der blühenden Jugend wird als Bruch also der quälende Tod durch Krankheit gegenübergestellt. Aus diesem Grund ist Silvias Tod, anders als bspw. das Dahinscheiden einer älteren Dame oder eines Soldaten, für das lyrische Ich Betrug. Es ruft die Natur an („O natura, o natura“,V. 36) und wirft ihr vor, dass sie ihr Versprechen gebrochen habe. Dieses Versprechen sieht Silvias Bewunderer offenbar in der Schönheit, Reinheit und Göttlichkeit ihrer sorglosen Jugend, die wie die Verheißung eines langen, glücklichen Lebens wirkt – oder, im Sinne von Leopardis floraler Metapher (s. o.), wie eine blühende Knospe, die nie ganz zur Blume werden durfte. Angesichts des beschriebenen Betrugs verliert das lyrische Ich jede Hoffnung, mehr noch, Silvia selbst war seine Hoffnung („Mia lacrimata speme!“, V. 55). Somit stirbt in A Silvia nicht nur das bemitleidenswerte junge Mädchen, sondern gleichzeitig auch die Hoffnung des Dichters. Die Natur und das Leben, das sie schenkt, erweisen sich als Täuschung, die jederzeit zerstört werden kann. Tatsächlich ist dieser „kosmische“ Pessimismus, „der das menschliche Leid als existentiell, unüberwindbar und überzeitlich ansieht“,[6] typisch für Leopardi. Scheel stellt sogar fest, dass Leopardi diese existenzielle Hoffnungslosigkeit unter dem Begriff noia ins Italienische einführte wie etwa Pascal im 17. Jahrhundert den ennui ins Französische.[7] Neben einer poetischen Klage ist A Silvia deshalb auch ein Manifest dieses für Leopardi so typischen universellen Pessimismus.

[1] Leopardi, Giacomo, Canti, Florenz [1835] 21860, S. 66, V. 36-39.

[2] Vgl. bspw. Citati, Pietro, Leopardi, Mailand 2010, S. 345.

[3] Vgl. Brugnoli Giorgio & Rea, Roberto, Studi leopardiani, Pisa 2000, S. 61.

[4] Leopardi, Giacomo, Zibaldone, Rom 1997, S. 4310.

[5] Ferrucci, Carlo, „A Silvia“ [2003], in: Lectura Leopardiana. I quarantuno „Canti“ e „I nuovi credenti“, hg. v. A. Maglione, Venedig 2003, S. 395.

[6] Scherer, Ludger (Hg.), Letteratura italiana. Da Francesco d’Assisi a Paolo Giordano. Antologia, Stuttgart 2014.

[7] Vgl. Scheel, Hans Ludwig „Schmerz und existentielle Hoffnungslosigkeit in der Lyrik und im Denken Giacomo Leopardis“ [1989], in: Studi italo-tedeschi. Deutsch-italienische Studien, hg. v. Luigi Cotteri, Meran 1989, S. 26f.

Form

Formal gliedert sich A Silvia in sechs unterschiedlich lange Strophen mit insgesamt 63 ebenfalls unterschiedlich langen Versen. Auf den ersten Blick fällt besonders die inhaltliche Gliederung auf der Ebene der Strophen ins Auge. In den ersten drei stanze errichtet Leopardi das Idyll und Ideal rund um die schöne jugendliche Silvia, in der vierten Strophe folgt dann der bereits in Kap. 2.1 erwähnte Bruch: Das Schöne, Reine, Junge wird dem Leben entrissen. Es ist im Grunde also der erste Teil der Kanzone, welcher die bezaubernde Wirkung des vom Verfasser bewusst als canto klassifizierten Gedichts entfaltet.[1]

Auf der Versebene ist festzustellen, dass Leopardi zwar ausschließlich die „klassischen“ Sieben- und Elfsilbler verwendet, diese jedoch ohne Regelmäßigkeit und mit einer sehr freien Reimstruktur anordnet. 36 der 63 Verse reimen sich frei, die übrigen sind reimlos. Die Verslänge (alternierende Sieben- und Elfsilbler) sowie das unregelmäßige Reimschema sind typisch für die canzone libera. Als Beispiel soll hier das von Bertone eruierte Reimschema abcDdEEb der zweiten Strophe dienen.[2] Hier zeigt sich auch eines der wenigen erkennbaren Muster des Gedichts, und zwar die Beschaffenheit des jeweils letzten Verses der sechs stanze. Dieser ist immer ein Siebensilbler und bildet einen Reim mit einem der vorangehenden Verse derselben Strophe (kursiv im obigen Reimschema): „fuggitivi“ (V. 4) und „salivi“ (V. 6) in der ersten, „dintorno“ (V. 8) und „giorno“ (V. 14) in der zweiten, „sereno“ (V. 23) und „seno“ (V. 27) in der dritten, „poi“ (V. 37) und „tuoi“ (V. 39) in der vierten, „core“ (V. 44) und „amore“ (V. 48) in der fünften und „mano“ (V. 61) und „lontano“ (V. 63) in der sechsten stanza. Hier fällt sofort die geschickte Verknüpfung von Form und Inhalt auf, denn die Wörter, die einen Reim bilden, harmonieren meist nicht nur metrisch, sondern auch inhaltlich, z. B. „core“ (V. 44) und „amore“ (V. 48). Auffällig ist des Weiteren das wiederholte Auftreten des Lautes vi, der an den Namen Silvia erinnern soll: „vita“ (V. 2, „fuggitivi“ (V. 4), „salivi“ (V. 6) usf.

Neben zahlreichen Alliterationen (z. B. t und l in V. 2), gelegentlichen Anaphern (che in V. 28-29) finden sich auf der rhetorischen Ebene u. a. auch Metaphern (bspw. „faticosa tela“, V. 22) und Personifikationen, die vor allem dazu dienen, die Lebendigkeit Silvias fühlbarer zu machen („Sonavan le quiete / Stanze, e le vie dintorno“, V. 7-8). Zusammenfassend lässt sich feststellen, das fast alle metrischen bzw. formalen Phänomene, die A Silvia ausmachen, der Verstärkung des Inhalts dienen: Die bereits in Kap. 2.1 erwähnte Desillusionierung der Heiterkeit und Harmonie in der Mitte des Gedichts wird durch eine gezielte formale Gliederung unterstützt und auch rhetorische Figuren sowie kleine metrische und klangliche Besonderheiten wie bspw. das ständige Wiederauftauchen des Klanges vi dienen stets der Verdeutlichung des Inhalts. Ferrucci spricht von einer „capacità di ricomporre e fermare il vissuto in forme che in ultima istanza rimangono però sempre illusorie [...].“[3] Durch diese Fähigkeit Leopardis werden die einzelnen Elemente der Kanzone zu einem kohärenten und gleichzeitig kontrastreichen Kunstwerk verbunden.

[1] Vgl. hierzu Ferrucci (2003), S. 399.

[2] Bertone, Giorgio, Breve dizionario di metrica italiana, Turin 1999, S. 43.

[3] Ferrucci (2003), S. 401

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Schlussbetrachtung

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich in Lorenzo de’ Medicis Gedicht viele wichtige und typische Themen der Renaissance wiederfinden lassen, sowie das Aufgreifen mythologischer Figuren mit einem Bezug zu der langen Tradition der Baccanali, den Feiern zu Ehren Dionysos.[1]
Weiterhin ist das Leitmotiv des Carpe Diem mit der Kehrseite der Erkenntnis der Vergänglichkeit ebenfalls zentral und spiegelt Einflüsse des sich damals entwickelnden Neuplatonismus und des bereits etablierten Platonismus wider.[2]
Erstaunlich deutlich sind die intellektuellen Bezüge eines Gebildeten zu erkennen, sowohl zur christlichen Kultur, als auch zur Philosophie und zur Antike.
Anschaulich wird dies auch, wenn man die Polysemie des Gedichtes betrachtet, welches sowohl als „popolareggiante“-ähnliches Werk aufgefasst werden kann, als auch als philosophischer Beitrag.

Die Canzona di Bacco ist auf der einen Seite also ein sehr bürgernahes Karnevalsgedicht, auf der anderen Seite jedoch ein tiefgründiges Werk mit vielen intertextuellen Verweisen, wobei der Spielraum zur Interpretation von Lorenzo de’ Medici als durchaus beabsichtigt erscheint.


[1]  Ibid., S. 768.

[2]  Ibid., S. 769

Als erste canzone libera bildet A Silvia einen ganz besonderen Einschnitt im Schaffen Leopardis. Diese freie Kanzone, die von einer jung Verstorbenen mit Namen Silvia handelt, ist in vielerlei Hinsicht typisch für Leopardis zweite Schaffensphase nach seinem silenzio poetico. Ob Silvia wirklich von Teresa Fattorini inspiriert war, bleibt unklar. Fest steht jedoch, dass sie für Leopardi offenbar Ausdruck einer weitreichenden kosmischen Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit war. Dass ein blutjunges Mädchen so früh an einer Krankheit sterben sollte, stürzte das lyrische Ich – und vermutlich auch Leopardi – in eine Sinnkrise. Diese Ungerechtigkeit bezieht sich freilich nicht allein auf die Tote, sondern vor allem auch auf die Hinterbliebenen. Schon als Kind wusste Leopardi, dass er jene, die tot sind, wahrscheinlich nie wiedersehen würde (Zib., S. 644). Die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Kanzone ist deshalb mehr als nur eine poetische Klage:

La poesia si presenta così come l’unico strumento di salvezza di ciò che altrimenti è caduco e spento per sempre, l’unico modo per richiamare alla vita ciò che sul piano razionale, di verità, è per sempre distrutto.[1]

A Silvia ist folglich nicht nur ein melancholisches, poetisches Kunstwerk, das Form und Inhalt gekonnt verbindet und dem Lesenden die Endlichkeit alles Seienden vor Augen führt, sondern nicht weniger als der Versuch der poetischen Rettung und Erhaltung eines toten Mädchens. Dass dieses Perpetuum mobile eines längst vergangenen Lebens noch heute beschäftigt und berührt, zeigt, dass dieser Versuch offenbar geglückt ist. Silvia lebt in der Vorstellung jener, die ihr Gedicht kennen, vermutlich noch viele Jahrhunderte weiter, nicht zuletzt dank ihres von Leopardi sprachlich so künstlerisch und lebendig gezeichneten Bildes.

[1] Binni, Walter, Lezioni leopardiane, Florenz 1994, S. 484.

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Bibliografie

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P r i m ä r l i t e r a t u r

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