Versionen im Vergleich

Schlüssel

  • Diese Zeile wurde hinzugefügt.
  • Diese Zeile wurde entfernt.
  • Formatierung wurde geändert.

Diese Musteranalyse wurde im Rahmen des Kurses "Liebeslyrik der Renaissance und des Barock" von Alessandra Origgi verfasst.

Toggle Cloak
idBeispiele
Text

...

Cloak
idBeispiele

Petrarca, RVF 61

20px




4

 
 
 
8



11



14

300px

Benedetto sia ’l giorno, e ’l mese, et l’anno,
et la stagione, e ’l tempo, et l’ora, e ’l punto.
E ’l bel paese, e ’l loco ov’io fui giunto
da’ duo begli occhi che legato m’ànno;

et benedetto il primo dolce affanno
ch’i’ ebbi ad esser con Amor congiunto,
et l’arco, et le saette ond’i’ fui punto,
et le piaghe che ’nfin al cor mi vanno.

Benedette le voci tante ch’io
chiamando il nome de mia donna ò sparte,
e i sospiri, et le lagrime, e ’l desio;

et benedette sian tutte le carte
ov’io fama l’acquisto, e ’l pensier mio,
ch’è sol di lei, si ch’altra non v’à parte.

30px

A
B
B
A

A
B
B
A

C
D
C

E
D

C
D

E

Prima quartina



Seconda quartina



Prima terzina


Seconda terzina



dashed

FRANCESCO PETRARCA: Canzoniere. Hg. von Marco Santagata. Milano: Mondadori, 1996, S. 313-316.

<iframe width="640" height="360" src="https://www.youtube.com/embed/OvnkvGpAmhc" frameborder="0" allowfullscreen></iframe>YouTube Video

Toggle Cloak
idAnalyse
Textanalyse

...

Cloak
idAnalyse

„Benedetto sia ’l giorno, e ’l mese, et l’anno” ist das 61. Gedicht der Gedichtsammlung Rerum Vulgarium Fragmenta (Canzoniere) von Francesco Petrarca (1304-1374), die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden ist. Der Canzoniere erzählt die Geschichte der Liebe des lyrischen Ichs zu seiner Angebeteten, Madonna Laura, und lässt sich in zwei Teile gliedern: Der erste Teil behandelt die Zeit vor, der zweite Teil die Zeit nach dem Tod Lauras (in vita und in morte). Das hier zu besprechende Sonett befindet sich im ersten Teil und verweist auf den Zeitpunkt des innamoramento des lyrischen Ichs („Benedetto sia ’l giorno […] e ’l loco ov’io fui giunto / da’ duo begli occhi che legato m’ànno“). Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes ‚Jubiläumsgedicht‘ (poesia d‘anniversario), das das elfte Jahr der Liebe markiert.[1]. Das lyrische Ich evoziert im ersten Quartett sein innamoramento lokal und temporal: In den ersten zwei Versen wird zuerst mit abnehmender (Antiklimax: „giorno“, „mese“, „anno“, d. h. Tag, Monat, Jahr) und dann mit zunehmender (Klimax: „stagione“, „tempo“, „ora“, „punto“, d.h. Jahreszeit, Tageszeit, Uhrzeit, Augenblick) Präzision der genaue Zeitpunkt des Beginns der Liebe ins Gedächtnis gerufen (Isotopie der Zeit). Auch in weiteren Gedichten der Sammlung wird auf Zeit und Ort des innamoramento Bezug genommen, daher wissen wir genau, wann es – der Fiktion zufolge – stattgefunden hat: Am am 6. April 1327 (vgl. den RVF 211 : “Mille trecento ventisette, a punto / su l’ora prima , il dì sesto d’aprile”, VV. 12-13[2]) in der Stadt Avignon in der Provence (vgl. RVF 177).[3]. In den nächsten zwei Versen wird ebenfalls mit zunehmender Präzision („E ’l bel paese, e ’l loco ov’io fui giunto“) der Raum thematisiert (Isotopie des Raums). Das lyrische Ich, das im dritten Vers erstmals auftaucht, charakterisiert sich sofort als passives Subjekt (es sind die Augen der Frau, die ihn gefesselt haben), als eine der Frau untergeordnete Figur. Im zweiten Quartett werden die gegensätzlichen Gefühle, die mit der Liebe verbunden sind, erwähnt: Die Liebe sei, oxymorisch ausgedrückt, ein „dolce affanno“ – das Oxymoron vermittelt sehr passend das widersprüchliche Wesen der Liebe und ist daher ein rhetorisches Stilmittel, das in Petrarcas Liebeslyrik oft zu finden ist. Die Metaphorik der Liebe (die Liebe wird traditionell durch Amor verkörpert, der mit Hilfe seiner Liebespfeile die Menschen sich verlieben lässt) drückt ebenfalls die Schmerzhaftigkeit dieses Gefühls aus („et l’arco, et le saette ond’i’ fui punto, / et le piaghe“). Das lyrische Ich wird von Amors Pfeilen durchbohrt und verwundet. Das Negative dieses Schmerzes wird jedoch teilweise dadurch kompensiert, dass ebendieser Schmerz gesegnet wird („benedetto“).

Im ersten Terzett zeigen sich die Auswirkungender schmerzhaften Liebe auf das lyrische Ich: Es weint, seufzt und begehrt die Frau. Die psychische Zerrissenheit des lyrischen Ich und der Verlust des seelischen Gleichgewichts wird durch das Enjambement zwischen den Versen 9 und 10 ausgedrückt: Das Personalpronomen wird vom Verb getrennt („io / […] ho sparte“), ebenso das Objekt vom Verb („voci tante […] / o sparte“). Das Partizip „sparte“ weist auf die „rime sparse“ (vgl. RVF 1[4]: „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono / di quei sospiri ond’io nudriva ’l core“, V. 1-2), d. h. auf die Gedichte des Canzoniere hin; eine enge, kausale Beziehung zwischen dem Liebesschmerz, der Zerstreuung des Innenlebens des lyrischen Ich und der dichterischen Aktivität wird erstmals in diesem Gedicht angedeutet; es handelt sich dabei um ein Thema, das im Canzoniere mehrmals behandelt wird (so besonders maßgebend in RVF 1 u. a.). Im 11. Vers werden dank der parataktischen Konstruktion die Einzelelemente, die die Wirkungen der Liebe beschreiben, betont; es handelt sich bei der hier dargestellten Liebe geradezu um eine Art Obsession, die im ganzen Gedicht inhaltlich und formal ausgedrückt wird, und das lyrische Ich in den Wahnsinn zu treiben scheint. Im letzten Terzett taucht die Isotopie des Schreibens bzw. des Dichtens auf: Es geht um die „carte“, die Blätter, auf die der Dichter seine Gedichte geschrieben hat; es handelt sich dabei um die Gedichte, die aus den Seufzern, den Tränen, dem Verlangen und den Schmerzen des Dichters resultieren. Im 13. Vers wird der erhoffte Lohn für das  das Dichten benannt: die gloria, der Ruhm des Dichters. Zum Schluss wird das Denken („pensier“) selbst des lyrischen Ichs genannt, das sich allein um die Frau dreht („e ’l pensier mio, / ch’è sol di lei”).

Fortlaufend wird im Sonett eine allmähliche Abstraktion der beschriebenen Zustände und Gefühle erkennbar: Zuerst wird Bezug auf die Liebe genommen, auf einen konkreten, spezifischen Moment und Ort und auf zwei konkrete Personen; dann werden die Auswirkungen der Liebe, die Gefühle des Schmerzes und der Freude thematisiert; danach wird die Dichtung in ihrer konkreten Materialität evoziert („carte“); in krassem Gegensatz hierzu steht die prononciert immaterielle geistige Grundlage seines Dichtens („pensier mio“). Diese , durch die zunehmende thematische Abstraktion charakterisierte Klimax, will gleichzeitig verdeutlichen, dass das Dichten aus der konkreten und dann sublimierten Erfahrung der Liebe entsteht. Die Frau ist trotzdem das letzte Thema, das im Schlussvers genannt wird. Dieses kausale Verhältnis wird auch durch die Temporaldeixis zum Ausdruck gebracht: Das zeitliche Verhältnis ist zuerst vorzeitig, d.h. es wird die Zeit des innamoramento ins Gedächtnis gerufen („fui giunto“, „ebbi“, „fui punto“, „o sparte“); nur im letzten Terzett ist das Verhältnis gleichzeitig, weil das lyrische Ich gerade dabei ist, seine Gedichte zu schreiben und seine Liebe zu zelebrieren („acquisto“, è“, „à“). Innamoramento und Dichten sind somit temporal getrennt, kausal jedoch eng verbunden.

Sehr evident in der Struktur der Dichtung ist die Anapher von „benedetto“ am Anfang der Quartette und von „benedette“ am Anfang der Terzette; die Anapher wird von der polysyndetischen Struktur der Verse begleitet, in denen die Elemente verbunden werden. Es handelt sich um eine Eingangsformel,[5], die typisch für die mittelalterliche provenzalische Tradition der Seligpreisungsdichtung („ben aia…“); als solches konfiguriert sich auch RVF 61 (sonetto delle benedizioni). Es waren Gedichte, die das Jubiläum der Liebe markierten. Im Canzoniere lässt sich die Formel auch im RVF 13 finden („I’ benedico il loco e ’l tempo et l’ora / che sì alto miraron gli occhi mei,“, VV. 5-6).

Die Tradition der Seligpreisungen ist nicht nur provenzalisch, sondern auch spezifisch religiös; bei Petrarca ergibt sich oft die Verbindung zwischen persönlichen Ereignissen und mythischen oder religiösen Erfahrungen.[6]. Die Zeit übt in diesem Kontext eine besondere Funktion aus: Einerseits betont das lyrische Ich einen bestimmten Zeitpunkt, seitdem sein Leben sich vollkommen verändert hat; andererseits wird das Jubiläum eines Ereignisses zelebriert, d.h. es wird die Zirkularität der Zeit ans Licht gebracht – eine Zirkularität, die mit einer tieferen Bedeutung der persönlichen Erfahrung des lyrischen Ichs eng verbunden ist. Singularität und Kontinuität der Liebeserfahrung fallen in eins.

Die geradezu überschwängliche Seligpreisung der Liebe sollte jedoch vor dem Hintergrund der Makrostruktur des Canzoniere differenziert betrachtet werden: Denn das folgende Gedicht, RVF 62 („Padre del ciel, dopo i perduti giorni“), kehrt die Botschaft von 61 um: das Jubiläum des innamoramento wird stigmatisiert, die im RVF exaltierten Gegenstände werden negativ konnotiert („benedetto giorno“ → „perduti giorni“, „dolce affanno“ → „non degno affanno“ usw.[7])

Das Reimschema lautet: ABBA ABBA (umschlingender Reim ) CDC DCD (Kreuzreim); die Unterteilung zwischen Quartetten und Terzetten ist nicht nur formal und metrisch, sondern auch, wie bereitserklärtbereits erklärt, inhaltlich vorzufinden (innamoramento in den Quartetten, Folgen bzw. Wirkungen in den Terzetten). Die Reime werden raffiniert konstruiert: anno : anno (V. 1-4), punto : punto (V. 2-7) sind homonyme Reime; giunto : congiunto (V. 3-6) ist ein Reim mit figura etymologica, sowie sparte : parte (V. 10-14);[8]; io : desio : mio (V. 9-11-13) drücken ein enges Verhältnis zwischen dem lyrischen Ichs Ich und seinem Verlangen aus; noch bedeutender ist der Reim sparte : carte (V. 10-12), der die Verbindung zwischen dem Leiden des lyrischen Ich Ichs („le voci … ò sparte“) und seinen Gedichten in einer sehr prominenten und unmittelbar sichtbaren Stelle zum Ausdruck bringt und daher auf die Formulierung „rime sparse“ von RVF 1 hinweist.



[1] Picone, S. 161.

[2] Vgl. Santagata S. 315.

[3] Vgl. RVF 177 und Bettarini, S. 313.

[4] Vgl. Santagata, S. 316 und Bettarini, S. 313.

[5] Lommatzsch, S. 677.

[6] Pastore Stocchi, S. 9.

[7] Picone, S. 162.

[8] Vgl. Santagata, S. 314.

Toggle Cloak
idBibliographie
Bibliografie

...

Cloak
idBibliographie

P r i m ä r l i t e r a t u r

PETRARCA, Francesco

Primärliteratur:

Francesco Petrarca, Canzoniere, hg. von Marco Santagata, Milano Mailand 1996.

PETRARCA, Francesco Petrarca, Canzoniere. Rerum vulgarium fragmenta, hg. von Rosanna Bettarini, Torino Turin 2005.

Sekundärliteratur:

S e k u n d ä r l i t e r a t u r

LOMMATZSCH, Lommatzsch Erhard, Benedetto sia ’l giorno e ’l mese e l’ anno, in «Zeitschrift für romanische Philologie» 43 (1923), S. 675-690.

Pastore PASTORE, Stocchi Manlio, I sonetti III e LXI, in «Lectura Petrarce» 1981, S. 4-23.

Picone PICONE, Michelangelo, Petrarca fra patimento amoroso e pentimento religioso (RVF 61-69), in Il Canzoniere. Lettura micro e macrotestuale, hg. von Michelangelo Picone, Ravenna 2007, S. 161-182.