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A. Allgemeine Definition und Begriffsklärung  

Nach Schubert und Klein ist der Englische Begriff: industrial relations auch: Arbeitsbeziehungen eine zusammenfassende Fachbezeichnung für die Akteure des Arbeitsmarkts (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, deren Repräsentanten und Organisationen) und die von ihnen erzielten informellen und formellen Regelungen (z. B. über Höhe der Arbeitslöhne, Arbeitszeitregelungen, Streikrecht etc.)(Vgl.Schubert, Klein 2018).

Es ist dennoch anzumerken, dass gerade der Begriff der Industriellen Beziehungen in der Literatur oft synonym, oder je nach Sichtweise, breiter/enger gefasst und verwendet wird. So steht der Begriff oft im Zusammenhang mit „employee relations“ oder „labour relations“. Auch steht der Begriff und das Forschungsfeld eng im Zusammenhang mit anderen sich ergänzenden Forschungsbereichen, wie den Ansätzen der Varietäten des Kapitalismus (VoC Approach, siehe Peter A. Hall und David Soskice), wo er im Zusammenhang zur Klassifizierung und Analyse weiterer Theorien dient.

Kerngedanke der Industriellen Beziehungen ist somit nach Müller-Jentsch die oft widersprüchlichen Interessenlage zwischen dem Management (Kapital) und der Belegschaft (Arbeit)(Vgl. Jentsch 1986: S.13). Die Besonderheiten welche sich aus dem damit verbunden Arbeitsverhältnis entwickeln sind oft asymmetrischer Natur, Arbeitgeber aber können sich nicht auf freiwillige Befolgung oder Durchsetzung des Vertrages durch Zwang verlassen, um eine hohe Leistung sicherzustellen. Daraus folgt gerade die Notwendigkeit aktiver Zustimmung und Kooperation, basierend auf Legitimität, welche durch industrielle Beziehungen erreicht werden kann [3]

B. Verschiedene Theorieansätze der Industriellen Beziehungen

Wichtig hier jedoch anzumerken ist zudem, dass der Begriff Industrielle Beziehungen eine Vielzahl theoretischer Ansätze kennt. Jeder Ansatz hat eine bestimmte Wahrnehmung der Beziehungen am Arbeitsplatz und kann daher Ereignisse wie Konflikte am Arbeitsplatz, die Rolle der Gewerkschaften und die Regulierung von Arbeitsplätzen unterschiedlich interpretieren.

Nach Renaud Paquet postuliert der Unitarismus eine einzige Quelle der Autorität und bestreitet die Interessenunterschiede zwischen Arbeitnehmern, Kapitalinhabern, Managern usw., die alle in die gleiche Richtung arbeiten. Aus dieser Perspektive wird die Gewerkschaftsbewegung daher als nutzlos oder sogar schädlich angesehen, da die Loyalität der Mitarbeiter gegenüber ihrem Unternehmen als selbstverständlich angesehen wird.

Im Gegensatz zum unitaristischen Paradigma basiert der pluralistische Ansatz auf der Beobachtung, dass Regulierungsmechanismen die Interessenunterschiede, welche Gruppen innerhalb eines Unternehmens haben können, harmonisieren müssen. Eine Gewerkschaftsbewegung wird daher als gesund angesehen, da sie den legitimen Ausdruck der Interessen einer Gruppe darstellt und die Wiederherstellung der Befugnisse innerhalb des Unternehmens ermöglicht.

Bei dem radikalen Ansatz ist ein Konflikt zwischen Arbeiterklasse und herrschender Klasse angesichts der Asymmetrie und Ungleichheit, die durch die Natur des Kapitalismus hervorgerufen werden, unvermeidlich (Paquet 2004: S.308).

C. Systematisierter Inhalt der Industriellen Beziehungen

Folgt man im Folgenden dem gedanklichen Aufbau von Jentsch-Müller in Soziologie der Industriellen Beziehungen - eine Einführung 1986, so lassen sich die Industriellen Beziehungen in diverse Unterpunkte systematisiert einteilen.

1. So sind Industrielle Beziehungen sowohl soziale, wirtschaftliche wie auch politische Beziehungen.

  • Soziale Beziehung im Betrieblichen Arbeitsprozesse, welcher auf kooperatives Zusammenwirken gelegt ist.
  • Wirtschaftliche Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt, auf dem der Austausch zwischen Arbeitskraft und Arbeitslohn folgt.
  • Politische Beziehungen zwischen den Interessenorganisationen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.

...

3. Analytisch lassen sich dann die Industriellen Beziehungen in verschiedene Ebenden oder „Arenen“ zuordnen.

  • Der Mikroebene oder dem Betrieb
  • Der Mesoebene oder dem sektoralen Arbeitsmarkt
  • Der Makroebene oder der Gesamtwirtschaft

So können auf allen drei Ebenen zwischen Repräsentanten beider Seiten Verhandlungen über Arbeitsbedingungen stattfinden. Auf welcher Ebene dies geschieht ist vom jeweiligen Land unterschiedlich (s.o. VoC Approach).  

          

4. Jentsch unterscheidet dann in den unterschiedlichen Arenen diverse Akteure. So lassen sich auf betrieblicher Ebene (Mikro) Individuelle Gruppen erkennen. Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene(Makro) dann eher Organisationen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände aber auch der Staat mit seiner gesetzgebenden Gewalt.

5. Auch der Grad der Formalisierung in den einzelnen Ebenen spielt eine Rolle. Dabei lassen sich auf Mikroebnen oft informelle Formen erkennen (Bspw. mündliche Absprachen), welche dann auf Makroebene vollständig formalisiert sind (Bspw. Tarifverträge).

6. Letztendlich lässt sich die Dimension der Konfliktintensität und Konfliktreglung als Merkmal einbeziehen. Abstufungen der Konfliktintensität reichen von gewohnheitsrechtlichen Praktiken, die eine Seite gegenüber der anderen zu behaupten vermag, über Einschüchterungen und Drohungen, bis zum verdeckten oder offenen Arbeitskampf und schließlich zur globalen Form des Generalstreiks. Das Spektrum der Konfliktregelungsverfahren umfasst sowohl informelle Einigung, Verhandlungskompromisse, freiwillige Schieds- und Schlichtungsverfahren als auch Prozesse, politische Interventionen und staatliche Zwangsschlichtung (Vgl. Jentsch 1986: S.13).

D. Geschichte

Die Industriellen Beziehungen haben ihre Wurzeln in der industriellen Revolution, welche das moderne Beschäftigungsverhältnis schuf, indem sie freie Arbeitsmärkte und große Industrieorganisationen mit Tausenden von Lohnarbeitern hervorbrachte (Vgl. Kaufman 2004: S.15). Als die Gesellschaft mit diesen massiven wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen rang, traten zahlreiche Arbeitsprobleme auf. Niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten, eintönige und gefährliche Arbeit und missbräuchliche Aufsichtspraktiken führten zu hoher Fluktuation, gewaltsamen Streiks und der Gefahr sozialer Instabilität. Intellektuell wurden die Industriellen Beziehungen Ende des 19. Jahrhunderts als Mittelweg zwischen klassischer Ökonomie und Marxismus gebildet, wobei Sidney Webb und Beatrice Webbs Industrial Democracy (1897) ein zentrales intellektuelles Werk waren. (Vgl. Farnham,David 2008: S.534-552).

 

 E. Anregungen und Aktuelles

Lange Zeit beschränkte sich der Gegenstand, und die daraus resultierende Analyse, der Industriellen Beziehungen auf einzelne Nationalstaaten. Mit der EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte (1994) [8] wurde erstmals ein gesetzlicher Rahmen für eine transnationale Institution der Industriellen Beziehungen geschaffen. Dies gibt bspw. Anlass für weitere hypothetische Überlegungen, ob und inwieweit transnationale Tarifverträge in naher Zukunft möglich und sinnvoll sind und ob man mit diesen Überlegungen den immer weiter sinkenden Zahlen der Gewerkschaftsmitglieder[9] entgegenwirken kann.

Quellen:

[1] Vgl. Schubert, Klaus/Martina Klein: „Das Politiklexikon“. 7., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2018. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung

[2] Vgl. Müller-Jentsch: „soziologie der Industriellen Beziehungen- eine Einführung“, 1986 S.13 ff.

[3] Vgl. Gregory Jackson, 2019 – Anmerkung: PowerPoint Inhalt der VL 2019 Freie Universität Berlin

[4]Vgl. Renaud Paquet et al., „Des théories du syndicalisme : synthèse analytique et considérations contemporaines“, Relations Industrielles,‎ 2004, S. 308

[5] Vgl. Müller-Jenstch:“soziologie der Industriellen Beziehungen- eine Einführung“, 1986 S.17 ff.

...

[7] Vgl. Farnham, David (2008). "Beatrice and Sidney Webb and the Intellectual Origins of British Industrial Relations". Employee Relations. 30 (5): 534–552

[8] Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen. In: Amtsblatt der Europäischen Union. L 254 vom 30. September 1994, S. 64.

[9] Deutscher Gewerkschafsbund, Infografik unter: https://www.dgb.de/uber-uns/bewegte-zeiten/geschichte-des-dgb/gewerkschaftsgeschichte-in-zahlen/++co++d6213e5a-a700-11e9-a996-52540088cada (abgerufen am 30.11.20)