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Kollegiale Fallberatung ist eine hilfreiche Methode, um sich innerhalb einer Gruppe von Gleichgestellten gegenseitig zu Problemen zu beraten. Sie hat eine vorgegebene Struktur.

Einleitung

Die Kollegiale Fallberatung bietet sowohl in der Schule als auch in der Universität die Möglichkeit problemhafte Praxiserfahrungen strukturiert aufzugreifen und gemeinsam in einer Gruppe über Lösungswege zu beraten.

Einmal erlernt, kann diese Methode Lehrkräften und Studierenden helfen, selbstangeleitet Probleme aus dem eigenen Unterricht vertrauensvoll zu teilen, aus einer anderen Perspektiven zu betrachten und gemeinsam zu reflektieren. Sie vermeidet das Teilen vorgefertigter Ratschläge, in dem sie die Beratenden dazu bewegt, eigene Annahmen zurückzuhalten und zu hinterfragen. An einigen Schulen in Berlin haben sich Gruppen etabliert die sich in regelmäßigem Turnus treffen und sich selbstständig gemeinsam beraten. Zur Etablierung solcher Gruppen bietet die Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) jedes Bezirks Anleitung und Unterstützung an.

Damit die Kollegiale Fallberatung bei der Lösung eines Problems helfen kann, sollten verschiedene Bedingungen bezüglich Fall, Gruppe und Setting gegeben sein bzw. hergestellt werden, die im folgenden erläutert werden.

Was ist die Kollegiale Fallberatung?

Die KFB ist ein systematisches Beratungsgespräch, in dem Gleichgestellte nach einer vorgegebenen Gesprächsstruktur gemeinsam nach Lösungen für ein konkretes Problem (einen „Fall“) suchen. Die/der Fallgeber*in schildert den Beratenden die Situation und lässt sich von diesen in einem moderierten Prozess beraten. Ein Mitglied der Gruppe leitet nach einem festen Ablauf mit fünf Phasen als Moderator das Beratungsgespräch durch die Gruppe und aktiviert dabei die Erfahrungen und Ideen der übrigen Teilnehmenden. Unter Anleitung der Moderation beraten somit alle Teilnehmenden den Fall und suchen nach Anregungen und Lösungsideen, mit dem Ziel der/die Fallgeber*in zu unterstützen.

In der Schulpraxis wird kollegiale Beratung zu Problemfällen in informeller Form breit praktiziert. Bei einem Problem beraten sich Lehrkräfte mit ihren Kolleg*innen im Lehrerzimmer oder fragen Familie und Freunde um Rat. So investiert bereits fast jede Person im Lehrbetrieb eine gewisse Zeit dafür, sich bei Problemen beraten zu lassen. Durch die Methode der Kollegiale Fallberatung (KFB), wird diese Zeit effizient zusammengeführt und durch eine Methode bereichert, die Lösungen zu Tage bringen kann, die in einem informellen Gespräch wahrscheinlich nicht gefunden worden wären.

An Schulen an denen ein formalisierter Beratungsprozess bereits etabliert ist, können sich die Kolleg*innen bei Problemen (z. B. Konflikte unter Schüler*innen, zwischen Schüler*innen und Lehrkräften, zwischen Lehrkräften und Schulleitung),  an die Beratungslehrkraft oder die Beratungsgruppe wenden. Die Beratungsgruppe trifft sich dann entweder bedarsorientiert oder greift den Fall in ihren regelmäßigen auf, um zu dem Problem zu beraten.

Ablauf der Fallberatung

Die ganze Beratung nimmt etwa 30 bis max. 45 min in Anspruch und verläuft in festen Phasen, durch die moderierende Person führt. Es können verschiedene Varianten unterschieden werden, die bei der gemeinsamen Sammlung von Ideen auf unterschiedliche Methoden setzen. Der grobe Ablauf bleibt bei jeder Art von Kollegialer Fallberatung gleich:

1.) Fallfindung und Rollenverteilung (Moderator*in, Fallgeber*in, Beratende)
2.) Fallvorstellung, Nachfragen und Zielformulierung
3.) Ideensammeln durch die Beratenden (Methodisch angeleitet)
4.) Rückmeldung des Fallgebenden
5.) Gemeinsamer Abschluss/Formulierung eines Lösungsansatzes

Die Phasen werden im Folgenden einzeln erläutert:

Schritt-für-Schritt-Anleitung

1.) Fallfindung und Rollenverteilung (5 min)

Moderator*in

Zuerst wird eine Person festgelegt, die die Moderation der Beratung übernimmt. Dies ist eine spannende und verantwortungsvolle Aufgabe, da sie nicht nur dafür sorgt, dass alle zu Wort kommen und die Zeit eingehalten wird, sondern vor allem dafür, dass eine angstfreie und vertrauensvolle Atmosphäre entsteht. Sie darf auch Fragen stellen und Beiträge liefern, sofern dies die Moderation nicht beeinträchtigt. Bei Bedarf kann für die erste Durchführung einer Fallberatung eine geschulte Person oder jemand der das Verfahren bereits kennt, diese Aufgabe übernehmen.

Fallgeber*in
Nun wird ein Fall gesucht. Alle Personen mit Problemen, können ihren jeweiligen Fall kurz vorstellen. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, welcher Fall am dringlichsten ist bzw. wo am besten geholfen werden kann. Bei Bedarf können mehrere Runden einer Fallberatung durchgeführt werden oder weniger dringliche Anliegen auf eine spätere Sitzung verschoben werden. Fälle sind nicht geeignet, wenn alle Teilnehmenden gleichermaßen vom Problem betroffen sind, jemand der Teilnehmenden direkt in den Fall involviert ist oder ein Konflikt zwischen zwei Teilnehmenden geklärt werden soll.

Berater*innen

Alle Personen, die nicht moderieren oder ihren Fall eingebracht haben nehmen die Berater*innen-Rolle ein. Bei einer ausreichenden Anzahl an beratenden Personen, sollte eine Person die Beiträge der Berater dokumentieren, also z. B. auf Moderationskarten, einem Flipchart oder einer Tafel festhalten. Für die Fallgebende Person ist die Visualisierung sehr dienlich, denn sie kann sich so aufs Zuhören konzentrieren. Zudem unterstützt es die Moderation und erleichtert die Reflexion einzelner Ideen.

2.) Fallvorstellung und Nachfragen (10 min)

In dieser Phase schildert der/die Fallgeber*in spontan und frei ihre persönliche Fallsituation. Ausreichend Zeit ist hier wichtig, das Anliegen und die erlebten Kontextbedingungen ununterbrochen und ausführlich geschildert werden können. Wichtig sind nicht nur Fakten, sondern auch die Interpretation der Situation. Äußerungen zu Gefühlen, Erwartungen und Hoffnungen sind von großer Bedeutung für eine hohe Qualität der Beratung.

Dann haben die Berater*innen die Gelegenheit, Nachfragen zu stellen. Die Moderation unterstützt, um bei einer oberflächlichen Schilderung genügend Fragen zuzulassen oder eine große Anzahl an Fragen auf die relevantesten zu beschränken, die nötig sind um gut beraten zu können.

In jedem Fall ist es entscheidend, dass die Moderation genau darauf achtet, dass sich die Berater*innen mit Ratschlägen und Lösungen zurückhalten.

Am Ende der Schilderung und Nachfragen sollte eine klare Schlüsselfrage oder ein Ziel formuliert (und visualisiert) werden, damit klar ist, was am Ende rauskommen soll. Zudem bildet die Formulierung eines Ziels/einer Frage bereits eine Zwischenbilanz, die für alle Beteiligten meist sehr wertvoll ist.

3.) Ideensammlung durch die Beratenden (etwa 15 min, verschiedene Methoden möglich)

In dieser Phase werden durch die Beratenden Hypothesen und Ideen gesammelt, während der/die Fallgeber*in zuhört. Dabei geht es um die gemeinsame Suche nach vielfältigen und kreativen Lösungsmöglichkeiten, die ganz unterschiedliche Handlungsoptionen aufzeigen können. Damit nicht nur vorhandene spontane Reaktionen gesammelt werden, ist es sinnvoll eine vorherige Inspirationsphase durchzuführen, um den Fokus des Denkens zu erweitern. Dazu bieten sich verschiedene Methoden an. Unser Vorschlag lautet hierfür die Identifizierungsmethode („Ich als …“) zu verwenden:

Ich-Als-Runde/Identifizierung (5 min)

In dieser Runde identifizieren Sie sich die Beratenden, wie in einem Rollenspiel, mit den Beteiligten des Konflikts und sprechen konkret aus der Rolle heraus, z. B. „Ich als Mutter schäme mich vielleicht vor der Lehrerin“ – oder – „Ich als Kind wünsche mir Bestätigung“ – oder – „Ich als Lehrerin fühle mich von den Eltern kritisch beäugt“ – usw. Es ist auch möglich, sich mit Personen, die bisher nicht genannt wurden oder unbekannt sind, zu identifizieren, z. B. mit dem abwesenden Vater, der Schulleiterin, usw. Diese Runde erfüllt die Funktion die unterschiedlichen Perspektiven und Bezüge transparent zu machen. Nach dieser Runde erfolgt ein kurzes Feedback durch die Fall-gebende Person.

Lösungsideen sammeln (10 min)

Nach dem Perspektivwechsel geht es darum, Ideen zur Lösung des Falls beizutragen. Wichtig ist, dass allen Beteiligten deutlich wird, dass es keine einzige „Wahrheit“ gibt, und die Beiträge viel mehr ein Angebot darstellen, von dem sich der/die Fallgeber*in inspireren lassen kann. Denn es geht ja bei der Beratung darum, die Handlungsoptionen und die Zufriedenheit des Fallgebers zu erhöhen

Die Beratenden äußern dabei Ideen, die sie womöglich aus einer Perspektive heraus, begründen und darlegen. Der/die Fallgeber*in hört dabei zu ohne sofort Rückmeldung zu geben oder Beiträge zu kommentieren. Es dürfen aber durchaus Verständnisfragen gestellt werden. Die Ideen sollten dabei zur Visualisierung (z. B. auf Moderationskarten) festgehalten werden. Diese dienen anschließend zur Reflexion.


4.) Rückmeldung des Fallgebenden (10 min)

Die Fall-gebende Person kann nun zu den einzelnen Lösungsideen Rückmeldung geben. Die Moderation fragt dazu, welche Ideen der Beraterenden bedenkenswert und hilfreich in Bezug auf die Schlüsselfrage/das Ziel erscheinen. Es muss dabei nicht auf alle Vorschläge eingegangen werden. Hierfür ist es jedoch nötig, dass übersichtlich visualisiert wurde, damit die Möglichkeit besteht auf alle Ideen einzugehen. In dieser Runde sollten die Beratenden zuhören und nur bei Rückfragen reagieren. Wurden die Lösungsideen ausreichend durchgegangen, kann zur nächsten Runde übergeleitet werden.

5.) Gemeinsamer Abschluss/Formulierung eines Lösungsansatzes (5 min)

Hierbei geht es darum in einer abschließenden gemeinsamen Runde in den Austausch zu den Lösungsvorschlägen zu kommen und die Umsetzung der favorisierten Idee gemeinsam zu planen. Was könnten erste Schritte sein? Wo liegen evtl. Schwierigkeiten oder Hindernisse? Hier geht es vor allem darum, konkrete Schritte vorzudenken und die Fall gebender Person zu bestärken, diese selbstständig zu gehen.


Optional: Blitzlicht-Reflexion

Wenn gewünscht kann die Beratungsrunde eine kurzes Blitzlicht durchführen, in der jede Person äußert, wie sie die Beratung empfunden hat, was mitgenommen wurde und wie einzelne Rollen wahrgenommen wurden.

Literatur

Frieß, Anne (o. J.): Kollegiale Fallberatung in der Grundschule. Hamburg: Persen.

Kutting, Dirk (18): Kollegiale Fallberatung. 1. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Meißner, S./Semper, I./Roth, S./et al. (2019): „Healthy teachers through peer consulting?“. In: Prävention und Gesundheitsförderung. Berlin/Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg 14 (1), 15–21. https://doi.org/10.1007/s11553-018-0684-8

Rothe-Jokisch, Lona (2008): „Der Beitrag des Beratungsinstruments „Kollegiale Fallberatung“ zur Praxisentwicklung von Kooperationskreisen Schule-Jugendhilfe“. In: Gruppendynamik und Organisationsberatung. 39 (4), 464–476. https://doi.org/10.1007/s11612-008-0044-9

 Zeiler, Ralph (2012): Kollegiale Fallberatung in der Schule: warum, wann und wie? Verlag an der Ruhr.


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