- Erstellt von Rosa Lia Gottwald, zuletzt geändert von Alessandra Origgi am 09.10.2017
Diese Analyse wurde im Rahmen des Kurses "Liebeslyrik der Renaissance und des Barock" von Felicia Günzel verfasst.
Text
Petrarca, RVF 22
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A qualunque animale alberga in terra,
se non se alquanti ch’ànno in odio il sole,
tempo da travagliare è quanto è ’l giorno;
ma poi che ’l ciel accende le sue stelle,
qual torna a casa et qual s’anida in selva
per aver posa almeno infin a l’alba.
Et io, da che comincia la bella alba
a scuoter l’ombra intorno de la terra
svegliando gli animali in ogni selva,
non ò mai triegua di sospir’ col sole;
poi quand’io veggio fiammeggiar le stelle
vo lagrimando, et disiando il giorno.
Quando la sera scaccia il chiaro giorno,
et le tenebre nostre altrui fanno alba,
miro pensoso le crudeli stelle,
che m’ànno facto di sensibil terra:
et maledico il dí ch’i’ vidi ’l sole,
e che mi fa in vista un huom nudrito in selva.
Non credo che pascesse mai per selva
sí aspra fera, o di nocte o di giorno,
come costei ch’i ’piango a l’ombra e al sole;
et non mi stancha primo sonno od alba:
ché, bench’i’ sia mortal corpo di terra,
lo mio fermo desir vien da le stelle.
Prima ch’i’ torni a voi, lucenti stelle,
o tomi giú ne l’amorosa selva,
lassando il corpo che fia trita terra,
vedess’io in lei pietà, che ’n un sol giorno
può ristorar molt’anni, e ’nanzi l’alba
puommi arichir dal tramontar del sole.
Con lei foss’io da che si parte il sole,
et non ci vedess’altri che le stelle,
sol una nocte, et mai non fosse l’alba;
et non se transformasse in verde selva
per uscirmi di braccia, come il giorno
ch’Apollo la seguia qua giù per terra.
Ma io sarò sotterra in secca selva
e ’l giorno andrà pien di minute stelle
prima ch’a sí dolce alba arrivi il sole.
A
B
C
D
E
F
F
A
E
B
D
C
C
F
D
A
B
E
E
C
B
F
A
D
D
E
A
C
F
B
B
D
F
E
C
A
A
F
C
Prima strofa
Seconda strofa
Terza strofa
Quarta strofa
Quinta strofa
Sesta strofa
Congedo
FRANCESCO PETRARCA: Canzoniere. Hg. von Marco Santagata. Milano: Mondadori, 1996, S. 87-95.
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Textanalyse
„A qualunque animale alberga in terra“ ist das 22. Gedicht der Mitte des 14. Jahrhunderts von Francesco Petrarca (1304-1374) herausgegebenen Gedichtsammlung Rerum vulgarium fragmenta, auch bekannt als Canzoniere. Es behandelt die tragische Liebesgeschichte des lyrischen Ichs zu seiner Auserwählten Laura in 366 Gedichten, die unterschiedlichste metrische Formen haben und wiederum zweigeteilt sind, und zwar in die Zeit nach ihrem Tod einerseits und ihre Lebzeit andererseits. In den letzteren Teil ist das hier untersuchte Werk einzuordnen. Bei den Schriften handelt es sich größtenteils um Sonette, allerdings gibt es unter anderem auch neun so genannte Sestinen. Das zu besprechende Werk ist die erste dieser neun Sestinen der Gedichtsammlung und folgt daher einer bestimmten für die sestina vorgeschriebenen Metrik. Da der Aufbau dieser sehr komplex ist, steht die ausgefeilte Präsentation der Metrik in diesem lyrisch aufwendigen Werk im Mittelpunkt.[1]
Als Vorbilder für seine sestina hatte Petrarca den provenzalischen Troubadour Arnaut Daniel, der als Erfinder ebendieser gilt,[2] sowie Dante, der diese besondere metrische Form mit „Al poco giorno e al gran cerchio d‘ombra“ als erster in Italien eingeführt hat. Demnach besteht auch Petrarcas sestina aus 39 endecasillabi, welche in sechs Strophen à sechs Verse geteilt sind. Hinzu kommt ein dreiversigen sogenannter congedo. In den einzelnen Strophen gibt es keine Reime, stattdessen wiederholen sich die sechs zweisilbigen Reimwörter der Versenden in jeder Strophe in jeweils einer anderen Reihenfolge. Da sie alle ein Naturelement ausdrücken, stehen die Reimwörter allein semantisch in einer logischen Beziehung miteinander und nicht aufgrund eines ähnlichen Klangs wie in den weiteren Gedichten des Canzoniere üblich, beispielsweise den Sonetten. Auf die sechs Strophen folgt zum Schluss ein sogenannter congedo, bestehend aus drei Versen, in dem alle Reimwörter noch einmal aufgenommen werden, drei im Versinnern und drei am Versende, wie es auch Dante und Arnaut gehandhabt haben. Nach einem speziellen System, dem sogenannten „retrogradatio cruciata“,[3] variiert die Anordnung der Reimwörter von Strophe zu Strophe, wodurch folgendes Reimschema entsteht:
1) ABCDEF 4) CFDABE
2) FAEBDC 5) ECBFAD
3) CFDABE 6) BDFECA
Die erste Strophe beschreibt den Tagesablauf aller natürlichen Lebewesen, Mensch und Tier eingeschlossen, die sich nachts vom mühevollen Tag erholen bis die Sonne wieder aufgeht.
Mit der ersten Nennung des lyrischen Ichs wird die Situation der Natur in der zweiten Strophe auf das Innere des lyrischen Ichs und das Wechselbad der Gefühle, das es durchlebt, übertragen. Es kann sich aufgrund seiner inneren Zerrissenheit nachts nicht vom Tag erholen, im Gegensatz zu den anderen Lebewesen. Unterstützend wirkt dabei das adversative „Et“ aus Vers 7, welches den Unterschied zu der vorherigen Strophe betont und somit den Unterschied zwischen allen anderen Lebewesen und lyrischem Ich, welches sich als einziges nicht dem Tagesrhythmus hingeben kann. Dadurch stellt sich das lyrische Ich auf eine andere Stufe und isoliert sich von den anderen. Es gibt also keine Gleichordnung zwischen Sprecher und Gegenstand des Sprechens. Doch da der Sprecher, also das lyrische Ich, im Gegensatz zu den Lebewesen des Naturzyklus leidet, ist von einer Unterordnung auszugehen. Während es in der ersten Strophe gar keine Markierung des lyrischen Ichs gibt, nimmt diese nach der ersten Nennung in der zweiten Strophe in den folgenden Strophen zu und unterstreicht die sich intensivierende innere Qual („non ó mai triegua…“ V. 10, „quand’io veggio fiammeggiar le stelle / vo lagrimando“ V. 11-12, „miro pensoso“ V. 15, „non mi stancha primo sonno“ V. 22). Die Periphrase „vo lagrimando“ aus Vers 12 mit andare plus Gerundium markiert zum Einen die Temporaldeixis, wobei es sich um eine Gleichzeitigkeit handelt, da der momentane Seelenzustand des lyrischen Ichs reflektiert wird, und zum Anderen intensiviert die gewählte Form das lacrimare des lyrischen Ichs.
Sobald die Nacht eintritt und es dunkel wird, beobachtet es voller Schmerz die Sterne, welche es als „crudeli“ (V. 15) beschreibt, weil sie einerseits einen schlechten Einfluss auf den Moment seiner Geburt hatten und andererseits aus ihm einen sensiblen Menschen mit einem Bewusstsein für Gefühle gemacht haben.[4] Aufgrund dessen verflucht es sowohl den Tag seiner Geburt als auch den Tag, an dem es zum ersten Mal die Sonne gesehen hat, welche hier eine Metapher für Laura ist.[5] Das Reimwort sole wird zwecks der vorgeschriebenen Metrik einer sestina verwendet, daher sind Bedeutungsvariationen der sich wiederholenden Reimwörter notwendig.
In der vierten Strophe vergleicht es Laura mit einer grausamen Bestie („aspra fera“ V. 20), die ihn zum Weinen bringt. Mithilfe der Analogie der Versenden 20 und 21 („o die nocte o di giorno … a l’ombra e al sole“) wird hervorgehoben, dass das Weinen weder von der Nacht oder den Schatten noch vom Tag oder der Sonne unterbrochen werden kann. Sein Liebesleiden nimmt demnach kein Ende und ist unüberwindbar.
Mit dem Bezug auf antike Mythen des Philosophen Platon spricht das lyrische Ich in der fünften Strophe von seinem Tod. Die Rückkehr zu den Sternen, die er in Vers 25 beschreibt und von Platon übernommen hat, symbolisiert den Eintritt in das Paradies. Im Gegensatz dazu ist mit „tomi giú“ im Vers 26 die Unterwelt gemeint, in der die Seelen der unglücklich Verliebten verweilen.[6] Noch vor ebendiesem beschriebenen Tod hofft es auf einen Hauch von Erbarmen von Laura und auf eine einzige Liebesnacht, die sein Leiden entschädigen würde. Diese eine Liebesnacht „sol una nocte“ in Vers 22 wird mit einem Wortspiel, das an eine Paronomasie erinnert, phonisch einprägsamer. In diesem Fall ist sol eine Abkürzung für soltanto, allerdings erinnert es phonisch an sole wodurch der Gegensatz von sole und notte abermals hervorgerufen wird. Diese Liebesnacht wird in der sechsten Strophe weiter ausgeführt, indem das lyrische Ich seine Hoffnung ausdrückt, dass Laura sich ihm nicht entziehen wird, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelt („verde selva“, Vers 34). Dies ist ein Bezug auf den Mythos von Apoll und Daphne, welche sich in einen Lorbeerbaum verwandelte, um der Verfolgung und Umarmung Apolls zu entgehen. Mit dem Pronomen la in Vers 36 erfolgt eine totale Identifikation von Laura und Daphne,[7] welche üblich für den Canzoniere ist und abermals durch die Paronomasie von ‚Laura‘ und lauro unterstrichen wird. Aufgrund der Identifizierung von Laura und Daphne liegt die Assoziierung des lyrischen Ichs mit Apoll nahe, dem Gott der Schönheit und aller Künste, womit auf seine eigenen künstlerischen Fähigkeiten verwiesen werden soll und somit auf die des Autors persönlich.
Der so genannte congedo der sestina besteht aus zwei Adynata, womit Petrarca es seinen Vorbildern Dante und Arnaut gleichmacht, die im congedo dasselbe rhetorische Mittel verwendet haben. Dieses Stilmittel, das sich auf die Unmöglichkeit des Erscheinens der Sterne bei Tag sowie des Gefühlswechsels von Laura bezieht, bringt zum Ausdruck, dass genau dies unter gar keinen Umständen eintreten wird. Die Adynata verstärken die Aussage, dass Lauras Gefühle sich nicht verändern werden beziehungsweise, dass das lyrische ich vorher gestorben sein wird, wie es die Alliteration in Vers 37 („saró sotterra in secca selva“) betont. Das lyrische Ich resigniert in Anbetracht seines Schicksals und gibt sich diesem hin.[8]
Die Thematik der sestina unterstützend, bilden die zweisilbigen Reimwörter („terra“, „sole“, „giorno“, „stelle“, „selva“, „alba“) zusammen eine Isotopie der Natur und unterstreichen den Tagesrhythmus, welcher beeinflusst ist vom Gegensatz zwischen Licht und Schatten, zwischen sole und stelle, zwischen Tag und Nacht, zwischen dem Morgengrauen alba und dem Untergehen der Sonne. Des Weiteren sind sie nicht zufällig gewählt, da sie von ihrer grundsätzlichen Bedeutung universell anzusehen sind. Die sestina setzt diese bedeutungstragenden Einheiten der Schöpfung miteinander in Beziehung.[9] Das semantisch vielfältigste Wort ist selva, das in den ersten fünf Strophen im Sinne von ‚Unterholz‘ genutzt wird, während es in der sechsten Strophe ‚Lorbeer‘ beziehungsweise ‚Lorbeerbaum‘ und im congedo sogar ‚Sarg‘ bedeuten soll.[10] Auch die äußere Form des Werkes korrespondiert mit dem Inhalt: Die vorgeschriebene Struktur einer sestina lässt sie zyklisch erscheinen, worin sich der inhaltlich beschriebene Zyklus des Tag-Nacht-Rhythmus wiederspiegelt.
Bibliografie
P r i m ä r l i t e r a t u r
PETRARCA, Francesco, Canzoniere, hg. von Marco Santagata, Mailand 1996.
S e k u n d ä r l i t e r a t u r
BATTAGLIA, Salvatore, Le rime „petrose“ e la sestina: Arnaldo Daniello, Dante, Petrarca, Napoli 1964.
NICHILO, Mauro de, Petrarca, Salutati, Landino: RVF 22 e 132, in «Italianistica: Rivista di letteratura italiana» 33, 2 (2004), S. 143-161.
PARZEN, Jeremy, A peculiar reading of the endecasyllable: Petrarch’s Sestina 22, in «Lettere italiane» 47, 2 (1995), S. 248-262.
SHAPIRO, Marianne, The petrarchan „selva“ revisited: „Sestina“ XXII, in «Neuphilologische Mitteilungen» 77, 1 (1976), S. 144-160.
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